Der Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union


Gegen den Willen eines Vertragsmitglieds ist ein Ausschluss aus der Europäischen Union im Rahmen eines ordentlichen oder vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens nicht möglich. Eine solche Vertragsänderung setzt nämlich die Zustimmung aller Mitgliedstaaten voraus. Falls jedoch eine beharrliche und außergewöhnlich schwerwiegende Vertragsverletzung vorliegt, kann Rückgriff auf das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge genommen werden. Dies gilt dann als ultima ratio, also letzte Möglichkeit. Eine erhebliche Verletzung eines zweiseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei berechtigt demnach die andere Vertragspartei, die Vertragsverletzung als Grund für die Beendigung des Vertrags oder für seine gänzliche oder teilweise Suspendierung geltend zu machen.

Zudem berechtigt eine erhebliche Verletzung eines mehrseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei die anderen Vertragsparteien, einvernehmlich den Vertrag ganz oder teilweise zu suspendieren oder ihn zu beenden und dies entweder im Verhältnis zwischen ihnen und dem vertragsbrüchigen Staat oder zwischen allen Vertragsparteien. Außerdem berechtigt eine durch die Vertragsverletzung besonders betroffene Vertragspartei, die Verletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags im Verhältnis zwischen ihr und dem vertragsbrüchigen Staat geltend zu machen.

Als weiteres Instrumentarium ist jede Vertragspartei, außer dem vertragsbrüchigen Staat, berechtigt, die Vertragsverletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags in Bezug auf sich selbst geltend zu machen, wenn der Vertrag so beschaffen ist, dass eine erhebliche Verletzung seiner Bestimmungen durch eine Vertragspartei die Lage jeder Vertragspartei hinsichtlich der weiteren Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen grundlegend ändert. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge schreibt vor, dass eine erhebliche Verletzung in einer nach dem Übereinkommen nicht zulässigen Ablehnung des Vertrags oder, in der Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentlichen Bestimmung vorliegt. Diese Vorschriften des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge findet aber keine Anwendung auf Bestimmungen über den Schutz der menschlichen Person in Verträgen humanitärer Art, insbesondere auf Bestimmungen zum Verbot von Repressalien jeder Art gegen die durch derartige Verträge geschützten Personen.

Bevor ein solches Verfahren eingeleitet wird, sind jedoch die Staaten der Europäischen Union beziehungsweise die Kommission auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verwiesen. Grundsätzlich kann jeder Mitgliedstaat den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Bevor ein Mitgliedstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erheben kann, muss er allerdings die Kommission zu dem Thema befragen. Die Kommission erlässt dann eine mit Gründen versehene Stellungnahme wobei sie den beteiligten Staaten zuvor Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung in einem kontradiktorischen Verfahren gibt. Gibt die Kommission binnen drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem ein entsprechender Antrag gestellt wurde, keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens der Stellungnahme vor dem Gerichtshof der Europäischen Union geklagt werden. Zu beachten ist auch, dass der Vertrag über die Europäische Union, der eine spezielle Suspendierungsregel enthält, in seinem Anwendungsbereich den Rückgriff auf Sanktionen des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge ausschließt.

Ähnliche Artikel

Durchsuchen Sie Rechtssartikel