Tatbestände und Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmacht


Wenn ein Stellvertreter überhaupt keine Vertretungsmacht hat oder sie aktuell nicht mehr hat, dann kann er trotzdem eine wirksame Vertretung durch die Rechtsscheinhaftung vorliegen. Bei dieser handelt es sich um einen Vertrauenstatbestand, durch den sich der Vertragspartner unter bestimmten Voraussetzungen darauf verlassen darf, dass eine Vertretungsmacht vorliegt. Es gibt gesetzliche Rechtsscheintatbestände und einige, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden.

Gesetzliche Rechtsscheintatbestände

a) Wird eine Vollmacht eines Vertreters gegenüber dem Vertragspartner erklärt, darf er solange auf das Bestehen der Vollmacht vertrauen, bis ihm das Gegenteil mitgeteilt wird.

b) Ist einer anderen Person als dem Vertragsgegner das Bestehen der Vollmacht erklärt worden (z.B. durch öffentliche Bekanntmachung), dann kann der Vertragsgegner ebenfalls auf die Vollmacht vertrauen, und zwar solange bis sie auf gleiche Weise wieder widerrufen wird.

c) Falls eine schriftliche Vollmachtsurkunde vorliegt und sie dem Vertragsgegner gegeben worden ist, kann der Vertragsgegner ebenfalls solange auf das Bestehen der Vollmacht vertrauen, bis die Urkunde für unwirksam erklärt wird oder sie der Vertretene zurück erhält.
Liegt einer der oben genannten Punkte vor, wird von Vertretungsmacht ausgegangen und bei Vorliegen der anderen Voraussetzungen der Stellvertretung ist die Stellvertretung dann wirksam.

Weitere Rechtsscheintatbestände

Neben den gesetzlichen Rechtsscheintatbeständen gibt es im Wesentlichen zwei von der Rechtsprechung entwickelte Institute, bei denen ebenfalls eine wirksame Stellvertretung vorliegt, auch wenn der Vertreter objektiv keine Vertretungsmacht hat. Auch hier gilt wieder die Ausgangslage, dass sich der Vertragsgegner unter bestimmten Voraussetzungen auf das Bestehen der Vollmacht verlassen können muss, um keine Rechtsunsicherheit zu schaffen. Bei den genannten Rechtsscheintatbeständen handelt es sich um die sog. Duldungsvollmacht und die sog. Anscheinsvollmacht.

a) Duldungsvollmacht

Die Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene dem Vertreter nicht ausdrücklich eine Vollmacht gegeben hat, aber von seinem rechtsgeschäftlichen Handeln weiß und dieses auch schon mehrmals geduldet hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann von einer konkludenten Vollmacht ausgegangen werden und eine Stellvertretung liegt vor.

Beispiel: S, die Sekretärin des A, hat schon öfter für A Büroartikel für seine Kanzlei von V eingekauft. A weiß dies, hat S aber nie explizit eine Vollmacht erteilt. Da er es aber schon seit langer Zeit duldet, kann sich V darauf verlassen, dass eine Vollmacht der S besteht.

b) Anscheinsvollmacht

Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn ein Vertreter für den Vertretenden handelt, der Vertretende das aber nicht weiß, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte wissen müssen.

Beispiel: Die Sekretärin S möchte beim Weinhändler W einen Wein kaufen. Im Geschäft ist allerdings nur die Putzfrau P des W anwesend, die allerdings die gleiche Verkaufskleidung wie der W trägt. Die P verkauft der S ohne Wissen des W und ohne Vollmacht einen Wein. Hier hat der W wegen der Verkaufskleidung der P Tatsachen geschaffen, die auf eine Vollmacht der P schließen lassen. Mit der entsprechenden Sorgfalt hätte W dies verhindern können. Der Vertrag ist wirksam, weil S auf die Vollmacht hat vertrauen dürfen.

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