Unterschied zwischen strukturellem und institutionellem Demokratiedefizit der Europäischen Union


Ein großes Problem der Europäischen Union besteht in ihrer oftmals nicht ausreichenden demokratischen Legitimierung. Dieses Problem wird unter dem Begriff „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ zusammengefasst. Die wesentlichen Kritikpunkte beziehen sich dabei auf das Fehlen eines europäischen Staatsvolks, was zu einem „strukturellen Demokratiedefizit“ führt, sowie auf Mängel des politischen Systems der Europäischen Union, also einem „institutionellen Demokratiedefizit“. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Intransparenz des EU Vertragsgeflechts, sowie auf die oft als unsinnig verstandenen Regelungen, Richtlinien und Normvorschriften.?

Strukturelles Demokratiedefizit

Ohne einheitliches Staatsvolk, so die Kritiker des strukturellen Demokratiedefizits, fehle es der EU an elementarer demokratischer Legitimation. Dies ergibt sich schon aus den nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten. So sieht beispielsweise das Grundgesetz im deutschen Volk den Ursprung aller Staatsgewalt. Die Europäische Union besteht allerdings aus 27 Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen, anderen Kulturen, einer anderen Geschichte und Sprache. Ein weiteres Problem wird im Fehlen europäischer Medien gesehen, welche sich mit dem gesamteuropäischen politisch-öffentlichen Diskurs befassen. Die jetzt bestehenden Medien sind nur auf die nationalen Belange ausgerichtet. Dies führt dann im Ergebnis dazu, dass keine gemeinsame europäische Identität und somit auch kein gesamteuropäisches Gemeinverständnis entstehen kann.?

In diesem Zusammenhang hat sich auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht mit dem Problem des fehlenden Staatsvolkes in der Europäischen Union beschäftigt. Es verneint dabei zwar die Existenz eines europäischen Staatsvolkes, sieht dies aber auch nicht als notwendige Bedingung für die demokratische Legitimation der Europäischen Union an. Sie erhalte vielmehr Legitimation für hoheitliche Aufgaben über die nationalen Parlamente, die die Staatsvölker der einzelnen Mitgliedstaaten repräsentieren. Das Bundesverfassungsgericht hob dabei hervor, dass demokratische Legitimation im Rahmen der EU nicht in gleicher Form hergestellt werden könne wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung. Das Bundesverfassungsgericht versteht dabei das Europäische Parlament als eine Vertretung der Staatsvölker, von der ergänzend eine demokratische Abstützung der Politik der Europäischen Union ausgeht. Die Europäische Union ist nach dieser Sichtweise also kein Staat, der sich unmittelbar auf ein europäisches Staatsvolk stützt, sodass jedenfalls das Bundesverfassungsgericht die Kritik eines strukturellen Demokratiedefizits der Europäischen Union ablehnt.

Institutionelles Demokratiedefizit

Im Rahmen der Kritik am institutionellen Demokratiedefizit wird auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Organe der Europäischen Union eingegangen. Demnach ist ein Demokratiedefizit gerade darin zu sehen, dass die Interessensvertretung und politische Partizipation der Unionsbürger im bestehenden Institutionengefüge nicht hinreichend gewährleistet wird. Eine besondere Problematik zeigt sich dabei im Ministerrat der Europäischen Union, in welchem Mitglieder der Regierungen der Mitgliedstaaten Gesetzgebungsakte der Europäischen Union erlassen. Diese Zusammensetzung hat einen krassen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung zur Folge, dergestalt, dass Mitglieder der nationalen Exekutive legislative Aufgabe auf europäischer Ebene ausüben. Somit können beispielsweise Regierungen über einen Umweg Vorschriften in das nationale Recht einführen, welches ihnen mit den gegebenen Mehrheitsverhältnissen im Mitgliedstaat nicht möglich gewesen wäre. Seit dem Maastrichter Vertrag wird jedoch auch das Europäische Parlament soweit in die Gesetzgebung einbezogen, dass Rechtsetzung ohne parlamentarische Beteiligung in den meisten Politikfeldern nicht mehr möglich ist. ?

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Sitzverteilung im Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wird nach dem sogenannten Prinzip der degressiven Proportionalität aus Abgeordneten der Mitgliedstaaten zusammengesetzt. Dabei werden bevölkerungsarme Mitgliedstaaten anteilsmäßig wesentlich besser gestellt als bevölkerungsreiche Länder. So vertrat beispielsweise bis 2009 ein Abgeordneter aus Malta ca. 76 000 Malteser, wohingegen deutsche Abgeordnete ca. 826 000 Menschen repräsentierten. Durch dieses Ungleichgewicht wird gegen das demokratische Grundprinzip der Gleichheit der Wahl verstoßen, bei dem jede Stimme dieselben Auswirkungen auf ein Mandat haben muss. Eine Novelle dieser Regelung wird auch im Vertrag von Lissabon nicht vorgesehen. ?

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Jahr 2009 in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon nochmals zur Thematik geäußert. Es stellte dabei erneut fest, dass die Europäische Union kein Bundesstaat sei und auch nicht werden dürfe, solange das Grundgesetz gelte und das deutsche Volk einem solchen Schritt nicht in einer Volksabstimmung zugestimmt habe. Dies sehe nämlich das Grundgesetz vor. Das Strukturproblem der Europäischen Union bestehe darin, dass mit der europäischen Integration der Umfang politischer Gestaltungsmacht der Europäischen Union, gerade auch durch den Vertrag von Lissabon immer mehr angewachsen ist, so dass inzwischen in einigen Politikbereichen die Europäische Union einem Bundesstaat entsprechend ausgestaltet sei.

Innerhalb der Europäischen Union selbst wird die Organisation allerdings nach völkerrechtlichen Regelungen aufgebaut. Es gilt im Wesentlichen der Grundsatz der Staatengleichheit. Das Bundesverfassungsgericht sieht aber auch die Gefahr, dass sich die Organe der Europäischen Union selbständig entwickeln und sich dann verselbstständigen könnten. Dabei geht es vornehmlich um die weiten Kompetenzen die den Organen eingeräumt werden. Da die Völker der Mitgliedstaaten aber die maßgeblichen Träger der öffentlichen Gewalt, einschließlich der Unionsgewalt, sind, liege die Integrationsverantwortung in der Hand der für die Völker handelnden nationalen Verfassungsorgane, wie zum Beispiel die nationalen Parlamente.

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