Wie werden Verträge ausgelegt?


Wenn zwei Personen einen Vertrag schließen und einige Punkte offen bleiben oder unklar geregelt werden, bedarf es der Vertragsauslegung, um festzustellen, was der Vertrag im Einzelnen regeln soll. Im Bürgerlichen Gesetzbuch sind deshalb Auslegungsregeln bestimmt, nach denen zum Beispiel der Richter im Streitfall vor Gericht auslegen kann, wenn ein Vertragsinhalt unklar ist. Das Gesetz bestimmt zum einen die Auslegung nach dem Parteiwillen, zum anderen die Auslegung nach Treu und Glauben im Sinne der Verkehrssitte.

Der Parteiwille

Bei der Auslegung nach dem Parteiwillen wird ein Vertrag dahingehend überprüft, was die Parteien wirklich gewollt haben, als sie den Vertrag geschlossen haben.

Beispiel 1: A und B schließen einen Kaufvertrag über 2 Kg Frischfisch. Sie legen in dem Kaufvertrag aber nicht fest, wann der Fisch übergeben werden soll. Kommt es zum Rechtsstreit, ist schlüssig durch die Vertragsauslegung nach dem Parteiwillen auszulegen, dass die Übergabe sobald wie möglich stattfinden sollte, da Fisch schließlich schnell verderblich ist. Eine Übergabe erst in 2 Wochen scheint deshalb von den Parteien nicht gewollt.

Hier wird also der Wille der Parteien ermittelt und so der Übergabezeitpunkt festgelegt. Oft wird, wenn einzelne Details nicht geregelt sind, auch vom sogenannten mutmaßlichen oder hypothetischen Willen gesprochen, der Richter prüft also nicht den realen Willen der Parteien, sondern den, der anzunehmen ist, also mutmaßlich ist.

Die Verkehrssitte und Treu und Glauben

Im Gesetz ausdrücklich geregelt ist auch die Auslegung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte. Dort überprüft der Richter vor Gericht, was man nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als wahrscheinlich annehmen muss.

Beispiel 2: A ist Großhändler und B ein Restaurantbesitzer, der für seinen Betrieb Lebensmittel einkaufen will. A und B schließen deshalb über die für A übliche Ware einen Kaufvertrag, B ist schon lange Kunde bei A und kauft für gewöhnlich immer die gleiche Ware. Üblicherweise schickt A eine Rechnung an B, B überweist daraufhin den Betrag. Zur Barzahlung kommt es auf dem Großmarkt nicht, da dies für den Handelsverkehr zu umständlich wäre. Klären A und B bei dem Kaufvertrag die Zahlungsmodalitäten nicht, kann davon ausgegangen werden, dass nach Verkehrssitte per Rechnung gezahlt werden muss und nicht bar. Kommt es zum Rechtsstreit über die Zahlungsmodalitäten, kann der Richter nach Verkehrssitte und Treu und Glauben die Zahlungsmethode bestimmten.

Die Auslegungen nach Verkehrssitte und Treu und Glauben und die nach Parteiwillen haben gewisse Grenzen. Der Richter darf nicht etwas in den Vertrag interpretieren, das fernliegend ist. Er darf den Inhalt des Geschäfts nicht verändern oder den Parteiwillen nicht falsch interpretieren. Jedoch darf der Richter im Wege der sogenannten ergänzenden Vertragsauslegung auch dahingehend auslegen, dass er Dinge bestimmt, die im Vertrag gar nicht erwähnt worden sind, solange sie der Verkehrssitte oder dem Parteiwillen entsprechen (siehe Beispiel 1).

Die Auslegung nach dem Parteiwillen und die nach der Verkehrssitte und Treu und Glauben sind manchmal schwer voneinander zu unterscheiden. Dies ist aber auch prinzipiell nicht notwendig, da sich beide Auslegungsmethoden ergänzen. Die Auslegung nach Verkehrssitte und Treu und Glauben muss also immer den Parteiwillen berücksichtigen und umgekehrt, damit keine Widersprüche auftreten.

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