MT Strafrechtliche Irrtumslehre: Arten von Irrtümern im strafrechtlichen Sinn


Es kommt immer wieder vor, dass ein Täter bei einer Straftat zwar die Strafnorm durch seine Handlungen verletzt, er aber nicht ganz wusste warum er das tut oder sogar dachte sein Handeln sei entweder nicht verboten oder ihm in seiner Situation sogar ausdrücklich erlaubt. Diese Irrtümer auf Seiten des Täters behandelt die strafrechtliche Irrtumslehre. Bei Studenten wegen seiner Komplexität unbeliebt, aber dennoch nicht uninteressant, gibt es eine Vielzahl von Irrtümern:

a ) Der Tatbestandsirrtum
Dieser Irrtum schließt den Vorsatz des Täters aus, da der Täter bei der Tatbegehung Umstände, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören nicht kennt. Es liegt also bereits ein Irrtum auf der Ebene des Sachverhalts vor, den der Täter bei seiner Tatausführung nicht richtig oder umfassend erfasst. Beispielsfall: Ein Sportschütze schießt auf einem Schießstand im Freien, er weiß aber nicht, dass sich hinter dem Ziel ein Kind versteckt, welches verstecken spielt und nicht wusste, dass heute auf dem Schießstand geübt wird. Das Kind kommt durch den Schuss zu Tode. Der Täter, also der Sportschütze, war sich nicht im Klaren, dass jemand im Zielfeld steht. Er hat ja auf ein Ziel und nicht auf das Kind geschossen. Bezüglich des Schusses auf das Kind war er im Irrtum. Er hat nicht vorsätzlich gehandelt. Allerdings bedeutet, das nicht, dass eine Strafe ganz unmöglich wird. Vielmehr eröffnet das Strafgesetzbuch die Möglichkeit, dass auch diese Täter bei denen der Vorsatz entfällt wegen fahrlässiger Begehung bestraft werden können. In unserem Beispiel also wegen fahrlässiger Tötung.

b ) Subsumtionsirrtum
Oft fällt es Bürgern schwer in Angesicht der großen Fülle an strafrechtlichen Normen sich sicher zu sein, ob sie sich strafbar machen oder nicht und wie sie sich in solchen Zweifelsfällen verhalten sollen. Von Bürgern wird nicht erwartet, dass sie die juristischen Definitionen einschließlich der richtigen Subsumtionstechniken anwenden. Es ist völlig ausreichend, wenn sie eine sogenannte Parallelwertung in der Laiensphäre vornehmen. Das wiederum bedeutet, dass der wesentliche rechtlich-soziale Bedeutungsgehalt des Tatumstandes laienhaft erfasst wird. Wird eine solche Parallelwertung gewissenhaft durchgeführt und dennoch kommt der Täter zu dem Ergebnis, es sei alles in Ordnung so kann der Vorsatz entfallen, es liegt sodann ein beachtlicher Subsumtionsirrtum vor. Interessant sind hier die Bierdeckelfälle, welche uns als Beispiel dienen sollen: B entfernt in einer Bar die Striche der Bedienung auf seinem Bierdeckel. Denn B glaubt, die Striche haben keine Bewandtnis und sollen lediglich der Bedienung am Ende das Aufteilen des Bierkonsums bei der Abrechnung erleichtern. T irrt also bezüglich des Merkmals „Urkundeneigenschaft“ eines Bierdeckels. Kommt man nun zu dem Schluss, dass B dies nicht wissen konnte oder er nach seiner Abwägung zu dem Schluss kam, das die Striche auf dem Bierdeckel zum Beweis des Bierkonsums völlig ungeeignet seien, kann ein solcher Irrtum vorliegen.

c ) Der Irrtum über das Tatobjekt
Dieser Irrtum beschreibt die Verwechslung des Tatobjekts aufgrund eines Irrtums über seine Identität oder Eigenschaften. Juristen nennen diesen Irrtum auch „error in persona vel objecto“. Beispielsfall: M möchte den neuen Freund F seiner ehemaligen Freundin heimtückisch ermorden. Dazu legt er sich auf die Lauer und visiert den Eingang seines Hauses an, um den neuen Freund bei Verlassen des Hauses mit einem Gewehr umzubringen. Allerdings kommt der bei F auf Besuch befindliche O aus dem Haus. M geht davon aus, dass es F ist und schießt auf den O, welcher sofort verstirbt. Da hier beide Opfer Menschen sind, liegt zwar ein Irrtum über das Tatobjekt vor, dieser ist aber unerheblich. M hat sich wegen Mordes strafbar gemacht. Hätte er aber den O nur verletzt, so wäre es versuchter Mord bezüglich des F und fahrlässige Körperverletzung bezüglich des O. Es ist somit festzuhalten, dass bei nicht gleichwertigen Schadobjekten bezüglich des einen ein Versuch vorliegt und bezüglich des anderen eine Fahrlässigkeitstat.

d ) Das Fehlgehen der Straftat
Visiert der Täter ein Ziel an, trifft aber wegen Umwelteinflüsse, wie Wind oder wegen schlechten Schießleistungen ein anderes Tatobjekt, so liegt ein Fehlgehen der Tat vor. Dieser wird auch in Fachkreisen aberratio ictus genannt. Der Unterschied zum error in persona liegt darin, dass egal ob die Ziele gleichwertig sind, immer wird wegen Versuches bezüglich des Angriffszieles und wegen einer Fahrlässigkeitstat bezüglich des getroffenen/beschädigten Objektes gegen den Schützen ermittelt. Beispielsfall: Attentäter A will Staatsoberhaupt S mit einem Schuss töten. Er trifft wegen dem starken Wind, der die Kugel ablenkt, aber den neben dem S stehenden Leibwächter L. Dieser stirbt an dem Schuss. A, der von der Polizei gefasst wurde, wird wegen versuchten Mordes an S und wegen fahrlässiger Tötung an L verurteilt. An der Strafhöhe macht das freilich nichts, er kann auch so zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden. Kann man allerdings sagen, dass der Täter die Verletzung oder den Tod des tatsächlich getroffenen Opfers billigend in Kauf genommen hat und sich mit diesem Risiko abgefunden hat, so kann auch wegen des Opfers im Sinne einer Vorsatztat verurteilt werden. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Attentäter nicht aus einem Versteck geschossen hätte und er davon ausgehen müsste, dass sich der Leibwächter in rettender Absicht vor den S wirft. Hätte er sich damit abgefunden geschossen und den L tatsächlich getroffen, so läge Vorsatz vor.

Das Fehlgehen der Tat und der error in persona kommen relativ häufig vor und wird daher als ein Standardproblem des Strafrechts behandelt.

e ) Der Verbotsirrtum
Der Täter handelt im Verbotsirrtum, wenn ihm die Einsicht bezüglich des Unrechts beziehungsweise das Unrechtsbewusstsein. Im Falle dieses Irrtums wurde eine Straftat mit allen seinen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen verwirklicht, aber es entfällt dennoch dann die Schuld des Täters, wenn der Irrtum nicht vermeidbar war. Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter in Anbetracht seiner Fähigkeiten und Kenntnisse über eine mögliche Rechtswidrigkeit hätte nachdenken müssen oder zumindest sich bei fachkundigem Personen erkundigen hätte müssen, ob ein Verhalten oder eine Handlung möglicherweise strafrechtliche Relevanz aufweist. Vom Straftäter wird also gefordert, dass er verbleibende Zweifel beseitigt und gegebenenfalls bei Sachverständigen notwendige Informationen einholt. Beim Verbotsirrtum, welcher im Strafgesetzbuch normiert ist, irrt der Täter über das grundsätzliche Verbotensein seines Handelns. Er nimmt irrig an, es existieren keine entsprechenden Straftatsbestände. Beispiel: A möchte eine Abfalldeponie auf einem leeren Grundstück errichten und setzt sein Vorhaben auch bald in die Tat um. Er denkt dabei nicht annähernd, dass das verboten sein könnte. Er handelt also im Verbotsirrtum, fraglich ist nun, ob das vermeidbar gewesen war. Hätte A sich mal bei seinem Rechtsanwalt informiert, was bei einer Gründung zu beachten sei, wäre dieser stutzig geworden und hätte ihm von dem Verbot erzählt. Es war also nicht vermeidbar, da A sich hätte ohne Weiteres sachkundige Auskünfte hätte einholen können.

f ) Der Erlaubnisirrtum
Beim Erlaubnisirrtum, ist dem Täter das grundsätzliche Verbotensein seines Handelns durchaus bewusst. Allerdings glaubt der Täter, wenn auch irrig, dass sein Verhalten aufgrund einer Erlaubnisnorm oder eines speziellen Rechtfertigungsgrundes ihm erlaubt sei. Beispiel: Lehrer L denkt es sei ihm erlaubt in speziellen Fällen Schüler mit Schlägen Züchtigen zu dürfen. Weil der Schüler S mal wieder auf dreimaliges Ermahnen nicht aufhört mit dem Banknachbarn zu schwätzen, haut L dem S mit der flachen Hand ins Gesicht. L hat sich der einfachen Körperverletzung schuldig gemacht. Sein Erlaubnisirrtum hilft ihm dabei nicht. Er hätte sich ebenso erkundigen können, in seinem Fall hätte es nicht mal eines Rechtsanwaltes bedurft, eine Nachfrage im Kollegenkreis oder an die Schulleitung wäre ebenso erkenntnisbringend gewesen.

g ) Der Erlaubnistatbestandsirrtum
Der Erlaubnistatbestandsirrtum hat ebenso eine hohe praktische Relevanz, da jeder Bürger jeden Tag diesem erliegen kann. Bei diesem irrt der Straftäter über eines vom Gesetz anerkannten Rechtfertigungsgrund. Denn er nimmt irrtümlicherweise Umstände an, welche sein Handeln bei realem Vorliegen tatsächlich rechtfertigen würden. Die Testfrage die sich in solchen Fällen das Gericht dann stellt lautet: Wäre der Täter gerechtfertigt, wenn der Sachverhalt so gewesen wäre, wie sich diesen der Täter vorstellt.

Beispiel 1: Student S ist in einer Diskothek als sein ehemaliger Schulkamerad und Erzfeind E auf ihn zukommt und aus kurzer Distanz die Hand gegen sein Gesicht richtet. S geht davon aus, dass E ihm ins Gesicht schlagen wird, tatsächlich hat E den Zwist vergangener Tage längst begraben und wollte S freundschaftlich an den Nacken langen. S schlägt im Angesicht des „Angriffs“ dem E sofort in den Bauch, so dass dieser sich vor Schmerzen krümmt. Nach der Testfrage kommt man zu dem Ergebnis, dass S über sein schneidiges Notwehrrecht gerechtfertigt wäre, wenn es sich bei dem Handeln des E tatsächlich um einen Angriff gehandelt hätte.

Beispiel 2: Rentner R geht abends mit einem Dackel spazieren, als ihm eine Dunkel angezogene Gestalt urplötzlich nahe von der Seite anspricht. Der dunkel gekleidete Mann will nur nach der Uhrzeit fragen, doch R denkt er wird angegriffen, bzw. steht ein Angriff unmittelbar bevor, deswegen schlägt der den mutmaßlichen Angreifer mit seinem geschlossenen Regenschirm in die Flucht. Auch hier hätte R von einem Angriff ausgehen können und ist damit im Erlaubnistatbestandsirrtum.

Jetzt stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen der Tat. Nach der Schuldtheorie ist der Erlaubnistatbestandsirrtum wie der Verbotsirrtum zu behandeln, was bedeutet, dass die Schuld entfällt, wenn der Irrtum vermeidbar gewesen wäre. Allerdings herrscht a oft Unklarheit über die Vermeidbarkeit, da man in schnellen Aktionen niemanden um Rat fragen kann. Daher wurde die sogenannte „ rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie“ entwickelt. Nach dieser entfällt die sogenannte Vorsatzschuld, was bedeutet, dass der Täter zwar den Straftatbestand objektiv und subjektiv erfüllt hat, aber er wegen dem Wegfall der Vorsatzschuld nicht verurteilt werden kann. S und R gehen daher straffrei aus. Allerdings ist der Weg zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen sowie zu Schmerzensgeld immer noch eröffnet. Der Erlaubnistatbestandsirrtum findet nicht nur bei den Rechtfertigungsgründen, wie Notwehr eine Anwendung, sondern auch bei den Entschuldigungsgründen.

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