Was ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und wie gliedert er sich?


Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Grundsatz des öffentlichen Rechts und des Strafrechts, wonach jedes staatliche Handeln in Hinblick auf den verfolgten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Dieser wird auch synonym als Übermaßverbot bezeichnet.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dem im Grundgesetzes festgeschriebenen Rechtsstaatsprinzip und dem Katalog der Grundrechte entnommen. Das Übermaßverbot hat somit Verfassungsrang und ist mittlerweile auch gewohnheitsrechtlich anerkannt. Obwohl er gesetzlich nur vereinzelt geregelt ist, gilt er für das gesamte öffentliche Recht und somit auch für das Strafrecht, welches rechtshistorisch gesehen ein Teil des öffentlichen Rechts ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwingt die öffentliche Hand einen Ausgleich der Individualrechtsgüter mit den von den öffentlich-rechtlichen Normen geschützten Allgemeingütern oder Interessen privater Dritter herzustellen. Er erfordert ein je nach Rechtsverstoß und Schwere des Eingriffs abgestuftes Vorgehen.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gliedert sich in folgende drei gedankliche Schritte:

• Geeignetheit:
Geeignet ist eine Maßnahme, wenn der angestrebte Erfolg durch sie zumindest gefördert werden kann. Nicht erforderlich ist hierbei, dass der Erfolg auch dann tatsächlich eintritt.

• Erforderlichkeit:
Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein milderes, weniger belastendes Mittel den gleichen Erfolg erreichen kann. Ist nur ein geeignetes Mittel vorhanden, so muss es mangels Alternativen erforderlich sein.

• Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne):
Angemessen ist die Maßnahme, wenn der Nachteil für den Betroffenen und der erstrebte Erfolg in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Zwischen dem Schaden des Einzelnen und dem Nutzen für die Allgemeinheit darf kein Missverhältnis bestehen. Es muss eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter getroffen werden.

Eine staatliche Maßnahme ist unverhältnismäßig, wenn sie erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht, die durch sie herbeigeführten Nachteile also deutlich größer sind, als diejenigen, die durch sie abgewendet werden sollen.

Um die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer konkreten staatlichen Maßnahme beantworten zu können, ist vorab zwingend der Zweck der Maßnahme festzustellen. Er ist Maßstab für die Verhältnismäßigkeit. Der tödliche Rettungsschuss eines Polizeibeamten auf einen um sich schießenden Terroristen kann durchaus verhältnismäßig sein, der tödliche Schuss auf ein Kind, das gerade beim Diebstahl von Kaugummis ertappt wurde und flieht, dagegen nicht. Auch der Haftrichter muss bei seiner Entscheidung, ob ein Beschuldigter in Untersuchungshaft muss, sich stets vor Augen halten, ob seine Entscheidung verhältnismäßig ist, schließlich geht es um ein Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten. Ebenso verhält es sich vor Strafvollstreckungskammern, welche entscheiden, ob ein Häftling wegen guter Führung früher, etwa nach zwei Dritteln der Strafe, die Justizvollzugsanstalt verlassen darf. Schließlich muss sich der Ermittlungsrichter, bevor er Ermittlungsmaßnahmen anordnet, die klar in ein Grundrecht des Beschuldigten eingreifen, prüfen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt wird. Dies wird etwa bei Wohnungsdurchsuchungen, Telefonüberwachung und Beschlagnahmen relevant. Die durchführenden Polizeibeamten müssen auch ihr Handeln prüfen, ob es nicht vielleicht überzogen ist und nicht der Situation angemessen erscheint.

Mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann insbesondere geprüft werden, ob die Verwaltung und die Strafverfolgungsbehörden die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten haben. Ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, ist das betreffende staatliche Handeln rechtswidrig und kann mit den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen erfolgreich angefochten werden.

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