Allgemeines zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union


Während das primäre Gemeinschaftsrecht, welches die zentrale Rechtsquelle des Europarechts im engeren Sinne bildet und aus den zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Verträgen besteht, von den einzelnen Mitgliedstaaten ausgehandelt wird, werden sekundäre Rechtsakte auf der Grundlage des Primärrechts von den Organen der Europäischen Union erlassen. Hauptrechtssetzungsorgane sind der Rat und das Europäische Parlament. Beteiligte sind die Kommission sowie verschiedene Ausschüsse. Wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sind die Organe der Europäischen Union nicht frei in der Wahl des Rechtssetzungsverfahren. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäische Union (AEUV) normiert, wer wie welche Maßnahmen verabschieden kann.

Der Vertrag von Lissabon hat grundlegende Neuerungen in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Zunächst wird ausdrücklich der Begriff Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Dies hat zur Folge, dass nun zwischen Gesetzgebung und sonstiger Rechtssetzung unterschieden werden muss. Der AEUV sieht ein ordentliches sowie ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vor. Zudem bestehen noch weiter Rechtsetzungsverfahren. Die Konzeption, die der Rechtssetzung der Europäischen Union zugrunde liegt, ist folgende: Der Rat, in dem die Mitgliedstaaten ihre nationalen Interessen ausgleichen müssen, soll nicht nur einstimmig entscheiden können und nur auf Grundlage eines Kommissionsvorschlags entscheiden können. Dieses Grundkonzept hat seine Wurzeln im Recht der internationalen Organisationen.

Art. 294 AEUV regelt das durch den Vertrag von Lissabon eingeführte ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Dies entspricht, mit gewissen Abänderungen, dem bisherigen Mitentscheidungsverfahren. Dieses Verfahren findet immer dann Anwendung, wenn in den Verträgen darauf Bezug genommen wird. Durch die Änderungen durch den Lissabonner Vertrag kommt dem Europäischen Parlament, das hier mit dem Rat zusammenwirkt, ein beträchtlicher Kompetenzzuwachs und eine Aufwertung seiner Stellung im institutionellen Gleichgewicht zu. Dies führt dazu, dass dem Europäischen Parlament in bestimmten Fällen sogar ein Vetorecht zusteht. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren findet in bis zu drei Lesungen statt und lässt sich in acht Schritte gliedern.

Der erste Schritt besteht im Vorschlag durch die Kommission, der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren das Initiativrecht zusteht und dem Zuleiten des Vorschlags an das Parlament. Nun folgt die erste Lesung im Europäischen Parlament, in der dieses seinen Standpunkt, in dem auch Änderungen enthalten sein können, zu dem Vorschlag festlegt und wiederum dem Rat übermittelt. Im dritten Schritt befasst sich nun der Rat mit dem übermittelten Standpunkt. Billigt der Rat den Standpunkt, gilt der Rechtsakt in der Fassung des Standpunktes des Europäischen Parlaments als erlassen. Erfolgt keine Billigung, übermittelt der Rat wieder seinen Standpunkt an das Europäische Parlament. Hierbei muss er seine Entscheidungsgründe darlegen. Nun erfolgt in einem vierten Schritt die zweite Lesung im Europäischen Parlament. Billigt das Parlament seinerseits den Standpunkt des Rates binnen drei Monaten, oder fasst es selbst keinen Beschluss, ist der Rechtsakt in der Fassung des Ratsstandpunktes erlassen. Wird mit Mehrheit der Mitglieder eine Abänderung des Vorschlags beschlossen, wird dieser abgewandelte Standpunkt erneut dem Rat zugesandt. Nun gibt die Kommission in einem fünften Schritt eine Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Parlaments. Im Folgenden hat nun der Rat zwei Handlungsmöglichkeiten.

Er kann die Abänderung des Europäischen Parlaments binnen drei Monaten mit qualifizierter Mehrheit billigen, woraufhin der Rechtsakt als erlassen gilt. Wurde der Änderungsvorschlag des Parlaments mit einer ablehnenden Stellungnahme der Kommission versehen, kann der Rat die Änderung des Parlaments nur einstimmig beschließen. Billigt der Rat jedoch nicht alle Änderungen des Parlaments, beruft der Präsident des Rates im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments binnen sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein. Dieser versucht nun im vorletzten Schritt binnen sechs Wochen unter beratender Mitwirkung der Kommission eine Einigung auf der Grundlage des Standpunktes des Parlaments und des Rates zu erzielen. Gelingt dies nicht, gilt der Erlass des Rechtsakts als gescheitert. Einigt sich der Vermittlungsausschuss auf einen gemeinsamen Entwurf haben der Rat und das Europäische Parlament im achten Schritt die Möglichkeit, den Rechtsakt in einer dritten Lesung binnen sechs Wochen zu erlassen. Im Rat muss dafür eine qualifizierte Mehrheit vorliegen, im Parlament die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Wird der Vorschlag abgelehnt oder nicht innerhalb der sechswöchigen Frist angenommen, gilt der Rechtsakt als gescheitert.

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