PA Die Methodik der richtlinienkonformen Auslegung


Mit der richtlinienkonformen Auslegung müssen Gerichte und Behörden Rechtssätze der Europäischen Union die in Richtlinien erlassen wurden in nationale Gesetze umwandeln. Diese Verpflichtung gibt ihnen der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union der nach dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 verabschiedet wurde. Die richtlinienkonforme Auslegung steht auf der Hierarchie sogar über der verfassungskonformen Auslegung und ist daher sehr wichtig. Diese Auslegung wird in zwei Schritten vollzogen, die zunächst unabhängig voneinander zu betrachten sind. Der erste Schritt ist die Auslegung nach der nationalen Methode. Hier wird der übliche Auslegungscanon zugrunde gelegt, der nach dem Europäischen Gerichtshof unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums den nationale Behörden und Gerichte haben anzuwenden ist. Dieser besteht in Deutschland zunächst aus der wörtlich-grammatikalischen, aus der systematischen und aus der historischen Auslegung. Der Abschluss der deutschen Auslegungslehre ist die Auslegung nach dem Zweck einer Norm, der sogenannten teleologischen Auslegung.

Dabei sind zunächst vor allem die wörtlich-grammatikalische und die teleologische Auslegung gefragt, denn diesen kommt bei der Auslegung die Hauptbedeutung zu. Bei der wörtlich-grammatikalischen Auslegung werden die Worte und ihre Stellung im Kontext betrachtet, dabei muss man den Sinn und die Regelungsweite bestimmen können. Es kann vorkommen, dass im späteren Vergleich zur Richtlinie Worte, die als Synonyme gedacht waren, diesem Anspruch gerade nicht gerecht werden und andersherum sich Worte finden, die in der Richtlinie und im Umsetzungsgesetz gleich sind, obwohl nicht dasselbe gemeint ist. Denn nicht selten greifen Richtlinien Worte und Begriffe auf, die im deutschen Recht bereits existieren, aber etwas anders bedeuten. Zudem vermeidet der deutsche Gesetzgeber es dann diese Begriffe wortwörtlich umzusetzen, um für den Rechtsanwender keine Verwechslungsgefahr zu schaffen. Im Zweifel ist die Bedeutung des Richtlinienwortlautes maßgeblich, weshalb man auch nicht Begriffe aus Richtlinien mit nationalen Definitionen näher bestimmen kann, was beispielsweise beim Begriff der „Kinder“ deutlich wird. Denn was man unter Kinder versteht muss unionsrechtlich bestimmt werden, wobei dieser Begriff dort nicht definiert ist, in einer Gesamtschau sind aber wohl Personen unter 14 Jahren als Kinder anzusehen. Besonders bei Generalklauseln muss man berücksichtigen was die Richtlinie bezweckt, um einerseits dem Wortlaut, aber vor allem auch dem Zweck der Richtlinie gerecht zu werden. Der vergleichende Blick in die Richtlinienfassungen der 27 Mitgliedsstaaten, die alle gleiche Gültigkeit haben, kann helfen, herauszufinden in wie weit Worte und Zusammenhänge zu verstehen sind.

Die historische Auslegung ist eher dazu gedacht gefundene Ergebnisse dahingehend zu überprüfen, ob sie auch dem historischen Willen des Gesetzgebers entsprechen. Dazu ist ein Blick in die historischen Quellen nötig, die aus der Gesetzesbegründung sowie aus Protokollen der Beratungen, wie Referenten- oder Regierungsentwürfe oder Regierungserklärungen bestehen. Wichtig wird die historische Auslegung aber dann, wenn ein Gesetzgeber eine richtlinienwidrige Umsetzungslösung gewählt hat. Dann nämlich sollen die historischen Quellen Aufschluss darüber geben, welche Motive den Gesetzgeber zu diesem Schritt bewegt haben. Die systematische Auslegung kann Aufschluss über eine Norm aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Rechtsordnungen geben, aber bei der richtlinienkonformen Auslegung tritt sie in den Hintergrund, weil Richtlinie und nationale Norm nicht in der gleichen Rechtsordnung stehen.

Im zweiten Schritt wird das gefundene Ergebnis der nationalen Auslegung mit dem Zweck der Richtlinien abgeglichen, um ein Auslegungsergebnis zu finden, dass mit der maßgeblichen Richtlinie in Einklang steht. Dabei soll der Richter des mit der Auslegung befassten nationalen Gerichts alle ihm zustehenden methodischen Instrumente, wie Bildung einer Analogie oder teleologische Reduktion anwenden.

Ihre Grenzen findet die Auslegung im Wortsinn der Norm. Denn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe darf den einzelnen Worten der Normen kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden oder der Normgehalt der Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt werden. Ob nun die Grenze der Auslegung beim Wortsinn oder in der Bedeutung des Kontextes in dem die Wörter stehen, zu ziehen ist, muss nicht entschieden werden, da beide eine eingrenzende Funktion haben. Ein zur Auslegung berufener Richter wird also nicht verpflichtet gegen den Wortlaut des Gesetzes eine Auslegung vornehmen zu müssen, um so die Richtlinie „contra legem“ entgegen dem auszulegenden nationalen Gesetz umzusetzen.

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