MT Die rechtliche Entwicklung des Versicherungsvertrages


In seiner Ursprungsfassung war das Gesetz über den Versicherungsvertrag zunächst darauf beschränkt, einen allgemeinen Rahmen für Versicherungsverträge zu bieten und die bereits bestehenden allgemeinen Versicherungsbedingungen zu ergänzen beziehungsweise zu korrigieren. Den Richtern wurde durch das Gesetz über den Versicherungsvertrag bereits sehr früh eine Möglichkeit an die Hand gegeben, um allgemeine Geschäftsbedingungen zu kontrollieren. Für das allgemeine Zivilrecht wurden diese Möglichkeiten erst nach und nach durch die Rechtsprechung geschaffen und später im Gesetz über die allgemeinen Geschäftsbedingungen beziehungsweise im Bürgerlichen Gesetzbuch selbst kodifiziert. Das Gesetz über den Versicherungsvertrag bezweckte in erster Linie also nicht, dispositive Vertragsmuster zur Verfügung zu stellen. Vielmehr sollten die Muster, die in diversen allgemeinen Versicherungsbedingungen bereits enthalten waren, ergänzt werden.

Zudem sollten Schranken gesetzt werden, die vor Missbrauch schützen sollten. Wies das Gesetz über den Versicherungsvertrag zunächst einen recht liberalen Rahmen auf, so wurden diese Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit zunehmend strenger gestaltet. Dies geschah überwiegend dadurch, dass bestimmte Vorschriften als halbzwingend erklärt wurden. Im Grundsatz weist das Gesetz über den Versicherungsvertrag auch heute noch diese Konzeption auf. Auch die durch die Europäische Gemeinschaft bedingte Deregulierung im Jahre 1994 hat sich hieran nicht allzu viel geändert. Denn auch die zu diesem Zeitpunkt eingeführten Regelungen betreffend die Rechtsschutz- und Krankenversicherung stellten keine vollständigen Regelungsmuster dar. Vielmehr boten auch sie nur einen Rahmen halbzwingender Normen, der der Ergänzung durch vertragliche Regelungen bedarf.

Einfluss der allgemeinen Versicherungsbedingungen

Viele der heute im Versicherungsvertragsrecht enthaltenen Besonderheiten und Komplikationen lassen sich somit durch die Entstehungsgeschichte sowie durch die Entwicklung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag erklären. So wurde der Inhalt des Gesetzes über den Versicherungsvertrag nicht lediglich bereits durch die Existenz allgemeiner Versicherungsbedingungen, sondern auch durch deren Inhalt wesentlich mitbestimmt. Zum Beispiel finden sich im Gesetz über den Versicherungsvertrag Rechtsfiguren, die bereits in den allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendet wurden. Diese Rechtsfiguren waren dem allgemeinen Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Teil fremd oder spielten nur eine untergeordnete Rolle. Nichtsdestotrotz wurden sie auf diese Weise fest im Versicherungsvertragsrecht verankert. Jedoch wurden bedenkliche Klauseln in allgemeinen Versicherungsbedingungen niemals gänzlich verboten oder zumindest das Gegenteil gesetzlich verankert. Vielmehr wurde die Existenz solcher Klauseln bei sämtlichen Fassungen des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vorausgesetzt, allerdings im Laufe der Zeit durch graduell sich steigernde, zwingende Ausnahmeregeln für bestimmte Untertatbestände ausgehöhlt.

Ein illustratives Beispiel in diesem Zusammenhang ist eine früher häufig benutzte Klausel, nach der der Versicherte alle seine Ansprüche gegen den Versicherer verlieren sollte, wenn bestimmte Vertragspflichten schuldhaft oder sogar schuldlos verletzt werden. In älteren allgemeinen Versicherungsbedingungen fand sich häufig eine solche Anspruchsverwirkung. Vom Gesetz über den Versicherungsvertrag in seiner ursprünglichen Fassung wurden solche Regelungen ebenfalls vorausgesetzt. Das Gesetz beschränkte sich zu dieser Zeit darauf, die Strenge solcher Anspruchsverwirkungsklauseln zu begrenzen. In den Folgejahren galten die Bemühungen der Gesetzgeber sowie der Rechtssprechung dann der immer weitergehenden Zurückdrängung solcher Klauseln. Eine weitgehende Bereinigung der diesbezüglichen Rechtslage wurde schließlich durch eine Reform des Gesetzes über den Versicherungsvertrag im Jahre 2008 vorgenommen. Unter dem Zeichen modernen Verbraucherschutzes wurde durch die Reform ein weitgehend einheitliches System für alle gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers geschaffen.

Unübersichtliche und komplizierte Regelungen

Außerdem waren die Regelungen des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in seiner ursprünglichen Form zum Teil sehr unübersichtlich beziehungsweise sehr kompliziert gefasst. Die Ursache hierfür lag darin, dass die Regelungstechnik des Bürgerlichen Gesetzbuches auch dem Gesetz über den Versicherungsvertrag zugrunde gelegt wurde. Demzufolge wurden durch die Verteilung der jeweiligen gesetzlichen Regelungen auf verschiedene Sätze die Fragen der Beweislast gleich mit erörtert. Konsequenz dieser Regelungstechnik war, dass es selbst gute Juristen einiges an Mühe und Anstrengung kostete, aus den verschiedenen Regelungen dasjenige herauszusuchen, was der Grundgedanke der Regelung und in der Praxis regelmäßig der Normalfall ist.

Behutsame Reformen

Trotz scheinbar einiger Missstände ist das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der Zeit seines über hundertjährigen Bestehens nur selten und meist auch nur teilweise Reformen unterzogen worden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang zunächst das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge unter Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag aus dem Jahre 1939. Dieses Gesetz führte eine Haftplichtversicherung für Kraftfahrzeuge ein, es benannte in einigen Endvorschriften die halbzwingenden Vorschriften und es differenzierte nunmehr zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit im Obliegenheitsrecht. Zudem fand eine Rechtsvereinheitlichung mit Österreich statt.

Im Jahre 1965 wurde dann das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter erlassen. Dieses Gesetz führte einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer eines Kraftfahrzeuges ein und brachte einige Änderungen des Rechts der Pflichthaftpflichtversicherungen für Kraftfahzeuge mit sich. In Umsetzung einiger Richtlinien der damiligen Europäischen Gemeinschaft wurde im Jahr 1990 die Rechtsschutzversicherung normiert, eine Pflicht zur Benennung der Anschrift des Versicherers im Versicherungsschein statuiert und ein Kündigungsrecht des Versicherungsnehmer bei langfristigen Verträgen und Prämienerhöhungen begründet. In Umsetzung weiterer Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft wurde dann 1994 der Verbraucherschutz verbessert, die Krankenversicherung normiert und eine Verordnung bezüglich der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge erlassen.

Blick nach Österreich

Die Vereinheitlichung der deutschen Rechtslage mit derjenigen in Österreich währte über lange Zeit und ist auch heute noch spürbar. Zwar wurde im Jahr 1958 ein neues österreichisches Gesetz über den Versicherungsvertrag beschlossen. Dieses stimmte jedoch weitgehend wörtlich mit der damaligen Fassung des deutschen Gesetzes überein. Erhebliche Unterschiede ergaben sich erst 1994 durch die östereichische Novelle des Gesetzes über den Versicherungsvertrag.

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