Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstands


Ist eine Notstandshandlung weder vom entschuldigenden Notstand noch vom Notwehrexzess erfasst, so kann der Täter und dessen Tathandlung dennoch durch den übergesetzlichen Notstand entschuldigt sein, damit dessen Schuld entfällt. Dies kann der Fall sein, wenn bei der ethischen Gesamtbewertung festgestellt wird, dass der Täter ein erheblich schwereres Unheil verhindert hat. Da in Deutschland das sogenannte Schuldprinzip gilt, wird der Täter, wenn er im übergesetzlichen Notstand handelt, dann nicht bestraft.

Die Voraussetzung hierfür ist, dass eben kein entschuldigender Notstand und kein Notwehrexzess vorliegt. Die Fälle des übergesetzlichen Notstandes sind selten und dann meist auch von einem regen Medieninteresse begleitet. So beriefen sich einige Ärzte des Nationalsozialismus auf diesen Notstand, da sie, wenn sie sich geweigert hätten die Menschen zu selektieren, wohl gegen andere regimetreuere Ärzte ausgetauscht worden wären und folglich wahrscheinlich diese Entscheidung mit ihrem Leben bezahlt hätten. Tatsächlich wurden einige Ärzte aufgrund dieser Argumentation von den Gerichten der Siegermächte freigesprochen.

Aber auch bei anderen Pflichtenkollisionen ist der Notstand denkbar. Zuletzt diskutiert wurde er bei dem Gesetzesentwurf des deutschen Bundestages, Flugzeuge, die von Terroristen entführt werden, mit Jagdkampfflugzeugen der Luftwaffe abschießen zu können. Dies hätte das Ziel, dass die Terroristen diese Flugzeuge nicht, wie im September 2001 geschehen, als fliegende Waffen einsetzen können. Das Bundesverfassungsgericht lehnte diesen Gesetzesentwurf allerdings ab, da er nicht mit der Verfassung Deutschlands, also mit dem Grundgesetz, vereinbar ist. Diskutiert wurde der übergesetzliche Notstand auch im Prozess gegen einen hohen Polizeibeamten, der einem Entführer in einem bekannten Entführungsfall in Frankfurt am Main mit Folter unter ärztlicher Aufsicht drohte, sollte der Entführer nicht das Versteck eines entführten Kindes verraten.

Hätte man den Entführer durch etwaige Folter dazu bringen können, das Versteck des Kindes zu verraten, so hätte man es womöglich noch lebend finden können. In einem solchen speziellen Fall, so dachte der ranghohe Polizist, überwiege das Rechtsgut Leben des Entführungsopfers gegenüber dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit des Entführers. Wobei es bei diesem nicht zu bleibenden Verletzungen kommen sollte. Allerdings sah das Landgericht in Frankfurt am Main dies anders und schloss wegen milderer Möglichkeiten den übergesetzlichen Notstand aus.

Erstmals angenommen wurde der übergesetzliche Notstand im Jahre 1927 durch das Reichsgericht. Damals ging es um den Fall, dass ein Arzt ein Kind bei der Geburt töten musste, um die Mutter retten zu können. Das Kind allein hätte nicht gerettet werden können. Der Arzt riskierte wegen Abtreibung oder gar wegen Totschlags verurteilt zu werden. Doch wegen seiner Pflichtenkollision wurde er freigesprochen. Dieser Fall fiele heute allerdings unter den entschuldigenden Notstand, welcher allerdings erst in den 1970er Jahren durch die große Strafrechtsreform eingeführt wurde. Auch wenn der übergesetzliche Notstand selten praktisch zur Anwendung kommt, hat er rechtspolitisch, medial und in der theoretischen Rechtswissenschaft eine hohe Bedeutung. Ist er auch nicht wirklich präsent, so zeigt seine historische Entwicklung dennoch, dass der entschuldigende Notstand sehr wichtig ist, denn er ein sehr spezielles Mittel, um von einer möglichen Schuld befreit zu werden.

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