Der Anwendungsbereich des Vergaberechts


Alle geplanten öffentlichen Auftragsvergaben sind zunächst darauf zu untersuchen, ob sie dem in der Vergaberichtlinie der Europäischen Union definierten Anwendungsbereich unterfallen. Konsequenz daraus ist, dass dann ein europaweites Vergabeverfahren nach Maßgabe verschiedenster Gesetze erfolgen muss. Ein solches Vergabeverfahren ist unter drei Voraussetzungen zwingend, welche gemeinsam vorliegen müssen. Zunächst muss der beauftragte Vertragspartner ein öffentlicher Auftraggeber sein und es muss ein öffentlicher Auftrag vorliegen. Drittens muss ein gewisser Schwellenwert erreicht werden. Durch die Auftragsvergabe durch einen öffentlichen Auftraggeber wird der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts der Europäischen Union eröffnet.

Die zugrundeliegenden Richtlinien legen einen funktionalen Auftraggeberbegriff zugrunde. Demnach ist Auftraggeber, wer als Nachfrager einer Leistung am Markt auftritt. Entscheidend für die Einstufung als Auftraggeber ist, ob die auf dem Markt auftretenden Einheiten staatliche Funktionen wahrnehmen beziehungsweise öffentlich finanziert oder kontrolliert werden. Die erforderliche Staatsgebundenheit der Form einer überwiegenden staatlichen Finanzierung hat der Gerichtshof der Europäischen Union beispielsweise für die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland bejaht, da die Tätigkeiten der Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln auferlegt, berechnet und erhoben werden. Ausreichend ist nach dieser Entscheidung für eine solche indirekte Finanzierung, dass die Beiträge aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zwangsweise eingezogen werden und ohne besonders definierte Gegenleistung ausgezahlt werden, die Betragshöhe ausschließlich der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Versicherten folgt, sowie der Spielraum der Krankenkassen zur Festsetzung des Beitragssatzes gesetzlich bestimmt ist.

Dass sich der Staat im Rahmen seiner Organisationshoheit durch Verwendung einer privaten Rechtsform dem Vergaberecht entzieht, wird durch das funktionale Auftragsverständnis verhindert. Bei der Erteilung öffentlicher Aufträge ist der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinien und der ihnen folgenden Umsetzungsregelungen eröffnet. Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, wie zum Beispiel Lieferdienstleistungen oder Baudienstleistungen. In erster Linie ist damit der Abschluss privatrechtlicher Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmer erfasst. Aber auch der Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge unterfällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union den Vergaberechtsrechtlinien der Europäischen Union. Das Kriterium der Entgeltlichkeit ist auch funktional aufzufassen. Entgeltlichkeit liegt demnach nicht nur bei Vorliegen einer Geldleistung vor, sondern grundsätzlich auch bei jedem geldwerten Vorteil.

Weist ein Vertrag Bestandteile von öffentlichen Aufträgen unterschiedlicher Art auf, richten sich die anwendbaren vergaberechtlichen Vorschriften nach dem Hauptgegenstand des Vertrages. Baukonzessionen sind dabei beispielsweise ausdrücklich umfasst. Diese übertragen grundsätzlich dem Konzessionär das Recht, die eigene Bauleistung zu nutzen oder entgeltlich zu verwerten. Anders wiederum sind Dienstleistungskonzessionen, also Verträge, bei welchen die Gegenleistung für die Erbringung des Auftrages nicht durch einen vorher festgelegten Preis bestimmt wird, sondern in dem Recht besteht, die konzessionierte Leistung selber zu vermarkten, zu behandeln, welche ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Vergaberechts der Europäischen Union ausgenommen sind. Der Konzessionär trägt bei einem solchen Vertrag das Risiko der Annahme seiner Dienstleistung am Markt und zusätzlich dazu auch noch das Refinanzierungsrisiko. Außerdem sind sogenannte In-House Geschäfte von der formellen Anwendung des Vergaberechts der Europäischen Union ausgenommen. Das sind solche Geschäfte, bei denen die Beauftragungen beziehungsweise Leistungserbringungen innerhalb eines öffentlichen Auftraggebers durch Körperschaften, die dem Auftraggeber im Rahmen eines Körperschaftsverbundes angeschlossen sind.

Zur Abgrenzung solcher Geschäfte die noch unter den Anwendungsbereich des Vergaberechts der Europäischen Union fallen werden mehrere Fallgruppen unterschieden. So sind zum Beispiel die Vergabe eines Auftrages an einen kommunalen Eigenbetrieb oder die Vergabe an eine kommunale Eigengesellschaft nach der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union als In-House Geschäfte zu charakterisieren. Weiterhin werden vom sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts der Europäischen Union Rahmenvereinbahrungen im Sinne der Vergaberichtlinie und der Sektorrichtlinie umfasst. Rahmenvereinbahrungen stellen Verträge dar, die der eigentlichen Beschaffung vorgelagert sind. Sie sind als öffentliche Aufträge zu qualifizieren, wenn sie die Bedingungen für zeitlich nachgelagerte Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, bereits vorab festlegen. Der in Aussicht genommene Preis muss dabei ausdrücklich festgelegt werden. Das in das deutsche Recht umgesetzte Vergaberecht der Europäischen Union findet nur oberhalb unionsrechtlich vorgegebener Schwellenwerte Anwendung. Maßgeblich dafür ist der Netto-Auftragswert, der durch Schätzung der Gesamtvergütung für die vorgesehenen Leistungen einschließlich möglicher Prämien und Boni zu ermitteln ist. Werden die Schwellenwerte unterschritten sind die Vorschriften des nationalen Haushaltrechts einschlägig. Zu beachten sind dann allerdings die Grundfreiheiten sowie insbesondere das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot.

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