Welche Funktion hat die Nichtigkeitsklage?


Mit der Nichtigkeitsklage kann der Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtmäßigkeit der Gesetzgebungsakte sowie der Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank, soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt, und der Handlungen des Parlaments der Europäischen Union und des Europäischen Rates mit Rechtswirkung gegenüber Dritten überprüfen. Der Gerichtshof der Europäischen Union überwacht ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten.

Dabei stehen drei Arten von Nichtigkeitsklagen zur Verfügung, deren Einteilung nach Maßgabe unterschiedlicher Anforderungen an die Klageberechtigung vorgenommen wird. Bei der sogenannten Staatennichtigkeitsklage ist zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Gerichtshof der Europäischen Union für Klagen zuständig, die ein Mitgliedstaat, das Parlament der Europäischen Union, der Rat oder die Kommission wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhebt. Als weitere Möglichkeit ist der Gerichtshof der Europäischen Union unter den gleichen Voraussetzungen für Klagen des Rechnungshofs der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des Ausschusses der Regionen, die auf die Wahrung ihrer Rechte abzielen, zuständig.

Drittens besteht die Möglichkeit der Individualnichtigkeitsklage. Hier kann jede natürliche oder juristische Person unter denselben Bedingungen gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.

Die Abstufung der Klageberechtigung folgt den institutionellen Funktionen der Nichtigkeitsklage. Da die sogenannten privilegierten Kläger keine Klageberechtigung nachweisen müssen, sie also nicht die Verletzung eigener Rechte oder Interessen geltend machen müssen, können die Mitgliedstaaten, der Rat, die Kommission sowie das Parlament der Europäischen Union mit Hilfe der Nichtigkeitsklage eine abstrakte Normkontrolle durchführen. In den Rechtsakten zur Gründung von Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union können auch besondere Bedingungen und Einzelheiten für die Erhebung von Klagen von natürlichen oder juristischen Personen gegen Handlungen dieser Einrichtungen und sonstigen Stellen vorgesehen werden. Regionale Gebietskörperschaften sind also nicht als Teil eines Mitgliedstaates privilegiert klagebefugt.

Wenn der Rechungshof der Europäischen Union, die Zentralbank der Europäischen Union oder der Ausschuss der Regionen eine Nichtigkeitsklage erhebt, dann muss sich die Klageberechtigung auf die Wahrung ihrer Rechte gründen. Die Nichtigkeitsklage dient zwar in diesen Fällen auch der Sicherung des institutionellen Gleichgewichts, indem sie als konkretes Organstreitverfahren die Kompetenzen dieser Organe sichert. Eine abstrakte und damit objektive Normkontrollberechtigung, die unabhängig von den subjektiven Rechten beziehungsweise Kompetenzen der Antragssteller ist, steht ihnen allerdings nicht zu.

Als subjektive Zulässigkeitsvoraussetzung muss der Kläger allerdings individuell und unmittelbar im Rahmen der Individualnichtigkeitsklage betroffen sein. Die einschlägige Vorschrift des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union macht dabei deutlich, dass die von natürlichen oder juristischen Personen erhobene Nichtigkeitsklage nicht nur objektiven Legalitätskontrollen des sekundären und organgeschaffenen Rechts der Europäischen Union unterliegt, sondern eben auch vorrangig dem Rechtschutz gegenüber den sie unmittelbar und individuell betreffenden Rechtsakten der Europäischen Union dient. Das Nichtigkeitsklageverfahren ermöglicht somit einerseits eine objektive Legalitätskontrolle des Sekundärrechts, aber andererseits auch den subjektiven Individualschutz gegenüber Rechtsakten der Europäischen Union. Alle Formen der Nichtigkeitsklage müssen binnen zwei Monaten erhoben werden. Diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat.

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