Wann ist eine Europäische Vertragsverletzungsklage begründet?


Damit eine Europäische Vertragsverletzungsklage Aussicht auf Erfolg hat muss sie zulässig und begründet sein. Die Zulässigkeit liegt vor, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind. Begründet ist die Vertragsverletzungsklage dann, wenn die vom Kläger behaupteten Tatsachen zutreffen, das angegriffene Verhalten dem beklagten Mitgliedsstaat rechtlich zuzurechnen ist und sich hieraus dann ein Verstoß gegen Bestimmungen des Rechts der Europäischen Union ergeben. Entscheidungsgegenstand ist dabei die Frage, ob der beklagte Mitgliedstaat die ihm vorgeworfene Vertragsverletzung objektiv begangen und innerhalb einer gesetzten Frist nicht abgestellt hat.

Die Staatenklage und die Aufsichtsklage, wie sie im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt sind, erfassen nur die den Mitgliedsstaaten zurechenbare Vertragsverstöße. Die Zurechenbarkeit von Vertragsverletzungen durch das Verhalten mitgliedstaatlicher Organe, Institutionen, und Körperschaften wird allerdings von der allgemeinen Auffassung sehr weit gedeutet. Die Mitgliedstaaten haben aufgrund ihrer Verpflichtung zur Unionstreue, welche sich aus dem Vertrag über die Europäischen Union ergibt, dafür Sorge zu tragen, dass sich ihre innerstaatlichen Untergliederungen und Organe gemäß des Rechts der Europäischen Union verhalten. Es können allerdings dann Zurechnungsprobleme entstehen, wenn sich ein Mitgliedstaat zur Verwirklichung seiner Ziele privater Rechtspersonen bedient. Für die Beurteilung der Zurechenbarkeit des Verhaltens von privaten Rechtspersonen greift der Gerichtshof der Europäischen Union auf das Kriterium der mitgliedstaatlichen Beherrschbarkeit zurück. Es kann nämlich dann an die mitgliedstaatliche Lenkungsbefugnis und Leitungsbefugnis angeknüpft werden, wenn sich mitgliedstaatliche Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts in einem privatrechtlichen Verband organisieren und die Beherrschbarkeit über die organschaftliche Verbandsvertretung zumindest mittelbar in mitgliedstaatlicher Hand liegt.

Ferner ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union das Zurechnungskriterium mitgliedstaatlicher Beherrschbarkeit erfüllt, wenn der Mitgliedstaat eine private Rechtsperson mit der Durchführung bestimmter unionswidriger Maßnahmen beauftragt und sie finanziert. Auch ist das Zurechnungskriterium mitgliedstaatlicher Beherrschbarkeit erfüllt, wenn eine vom Mitgliedstaat bestimmte private Rechtsperson ein personell bestimmtes Gremium maßgeblich beeinflusst. Dabei kann auch ein Unterlassen bei bestehender unionsrechtlicher Handlungspflicht einen Vertragsverstoß begründen. Als Beispiel kann man dafür die Mitgliedstaaten anführen, die verpflichtet sind alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung der Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sicherzustellen.

Des Weiteren sieht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor, dass eine Vertragsverletzungsklage dann begründet ist, wenn ein Mitgliedstaat keine ausreichenden und geeigneten Maßnahmen ergreift, um gegen Beeinträchtigungen von Grundfreiheiten einzuschreiten. Die Ursache der Beeinträchtigung von Grundfreiheiten kann dabei auch auf Handlungen von Privatpersonen zurückgehen. Wenn ein Mitgliedstaat der Europäischen Union durch sein Verhalten tatsächlich gegen eine Norm des Rechts der Europäischen Union verstößt, ist eine Vertragsverletzung gegeben. Prüfungsmaßstab des Mitgliedstaatlichen Verhaltens sind dabei nicht nur der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Vertrag über die Europäischen Union, sondern auch sekundäres Unionsrecht wie beispielsweise Richtlinien, Verordnungen und Beschlüsse, sowie die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts. Diese müssen dann allerdings im Rahmen des Rechts der Europäischen Union anwendbar sein und für die Mitgliedstaaten bindend sein. Ausgeschlossen ist aber grundsätzlich die Überprüfung von Vorschriften über die Gemeinsame Außenpolitik und Sicherheitspolitik.

Wenn sich im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens herausstellt, dass das angegriffene Verhalten des Mitgliedstaats der Europäischen Union objektiv unionsrechtswidrig ist, dann ist die Klage begründet. Der Mitgliedstaat kann sich demgegenüber nicht mir dem Einwand mangelnden Verschuldens exkulpieren, also entlasten. Die Verschuldensfrage stellt sich nämlich im Vertragsverletzungsverfahren grundsätzlich nicht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dafür alle aus den nationalen Rechtsordnungen abgeleiteten Entschuldigungsgründe in ständiger Rechtsprechung abgeschnitten. Als Beispiel gilt dabei allen voran der Einwand, die Durchführung einer Norm des Rechts der Europäischen Union stoße auf verfassungsrechtliche, institutionelle oder auch politische Hindernisse. Der Gerichtshof der Europäischen Union kann sich jedoch auch nicht auf Vertragsverstöße anderer Mitgliedstaaten als Rechtfertigung berufen. Der beklagte Mitgliedstaat kann zur Verteidigung aber nur den ihm zur Last gelegten Sachverhalt bestreiten, sich mit Rechtsansichten aufgrund deren sein Verhalten kein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union begründet verteidigen. Er kann ferner einwenden, dass sein Verhalten wegen des Eingreifens unionsrechtlicher Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt ist.

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