Was sind Richtlinien der Europäischen Union und wie werden sie angewendet?


Eine Richtlinie ist ein Rechtsakt der Europäischen Union und für jeden Mitgliedstaat an die sie gerichtet ist verbindlich. Die Verbindlichkeit erstreckt sich dabei allerdings nur auf das angestrebte Ziel, nicht jedoch auf die dafür innerstaatlich eingesetzten Form und Mittel. Durch eine Richtlinie erlassen die Unionsorgane eine Rahmenregelung, die Mitgliedstaaten die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen.

Die Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten

Jeder Mitgliedstaat hat eine Richtlinie innerhalb einer gesetzten Frist genau und vollständig umzusetzen. Dabei ist es den Mitgliedstaaten nicht möglich, sich auf Bestimmungen ihrer nationalen Rechtsordnungen zu berufen, welche eine Nichtbeachtung der in der Richtlinie angestellte Verpflichtung und Frist rechtfertigen würde. Falls sich jedoch eine Umsetzungsfrist für zu kurz erweist, besteht für einen Mitgliedstaat nach Unionsrecht die Möglichkeit, geeignete Schritte auf Unionsebene vorzunehmen um das entsprechende Unionsorgan zu Verlängerung der Frist zu bewegen. Dies ist allerdings nicht rückwirkend möglich, sodass entsprechende Anstrengungen bereits im Vorfeld getroffen werden müssen. Die Begründung hierfür liegt im Rückwirkungsverbot welches Ausformung des Rechtstaatsprinzips ist.? Die konkreten Mittel und Formen die die Mitgliedstaaten ergreifen müssen die praktische Wirksamkeit der Richtlinie bestmöglich gewährleisten. Die Umsetzung muss unter besonderer Beachtung des angestrebten Zieles erfolgen, wofür allerdings vom Europäischen Gerichthof ein Wertungsspielraum eingeräumt wird. Dieser Wertungsspielraum kommt insbesondere zu Tragen, wenn der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Richtlinie deren Vorgaben über die Mindestbestimmungen überschreitet. Hierbei muss allerdings besonders der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, das bedeutet die Bestimmung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Weiterhin müssen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfüllt werden. Eine Richtlinie bedarf nur dann nicht eines Umsetzungsaktes, wenn das in der Richtlinie vorgegebene Ziel bereits durch eine entsprechende innerstaatliche Vorschrift erfüllt wird oder eine bereits bestehende Bestimmung richtlinienkonform ausgelegt werden kann. ?Die Richtlinien entfalten nicht erst vor Ende der Umsetzungsfrist Wirkung, sondern besitzen Vorwirkung. Das bedeutet, dass die Adressaten sich ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie nicht entgegen des von der Richtlinie angestrebten Zieles verhalten dürfen. Die Vorwirkung wird durch eine Verlängerung der Umsetzungsfrist verstärkt.

Unmittelbare Wirkung

Die von der Umsetzungspflicht inhaltlich gefassten Vorgaben durch die Richtlinien sind oftmals so detailliert ausgeformt, dass sie den Gesetzgeber der Mitgliedstaaten keinen Spielraum bei der Umsetzung lassen. Falls nun eine Richtlinie nicht oder nur fehlerhaft umgesetzt wurde, stellt sich die Frage nach einer möglichen unmittelbaren Anwendung durch innerstaatliche Gerichte und Verwaltung. Zwar lässt sich eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinie nur schwer mit der Umsetzungsverpflichtung vereinbaren, gleichwohl hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung die Wirkungsweisen der Richtlinie entwickelt, die über das Verhältnis Europäische Union und Mitgliedstaat hinausgehen. Um eine Verwaschung der Unterschiede zur Verordnung zu vermeiden, werden die Anwendungsfälle allerdings stark beschränkt und die direkte Anwendung nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt können die nationalen Gerichte im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens durch den Gerichtshof der Europäischen Union klären lassen. Kommt es zu einer direkten Anwendung einer Richtlinie wird zwischen vertikal unmittelbarer, umgekehrt vertikaler, horizontal unmittelbarer, drittbelastender unmittelbarer und objektiv unmittelbarer Richtlinienwirkung unterschieden.

Das Gebot richtlinienkonformer Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts
Die Pflicht, die Richtlinienziele im nationalen Recht zu verwirklichen, erstreckt sich auf jeden Mitgliedstaat insgesamt. Das bedeutet, dass alle mitgliedschaftlichen Organe, einschließlich der Judikative an einer Verfolgung des Ziels mitarbeiten müssen. Deshalb haben die nationalen Gerichte die Aufgabe, das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen und auch gegebenenfalls fortzubilden. Dies ist Ausprägung des Gebots der unionsrechtskonformen Rechtsfindung. Darin ist aber auch eine Alternative zur unmittelbaren Richtlinienanwendung zu sehen. Es wird nämlich nicht die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie vorausgesetzt, sondern die richtlinienkonforme Auslegung tritt vielmehr neben die Richtlinie und ergänzt sie. Diese Methode erweist sich souveränitätsschonender als eine unmittelbare Anwendung, weshalb sie Vorrang vor letzterer Methodik besitzt. ?Eine richtlinienkonforme Rechtsfindung ist allerdings nach dem Gerichtshof der Europäischen Union nur soweit geboten, wie das nationale Recht einen entsprechenden Spielraum dafür belässt. Dementsprechend kann im Einzelfall auch eine richtlinienkonforme Analogie, teleologische Reduktion oder Extension geboten sein. Allerdings ist eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung contra legem nicht verlangt.

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