Kann ein Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union austreten?


Die Integrationsfähigkeit der Europäischen Union wurde in den Jahren 2004 und 2007 durch den Beitritt von insgesamt zwölf neuen Mitgliedstaaten vor eine bis dato nicht gekannte Herausforderung gestellt. In einigen der neuen Beitrittsländern war sogar eine Unsicherheit zu spüren, die sich auf die politische Unterstützung für einen Beitritt in die Europäische Union bezog. Eine Möglichkeit diese Bedenken aus dem Weg zu räumen und den Entschluss zum Beitritt zu erleichtern wurde bei den Beitrittsverhandlungen durch eine Austrittsklausel geschaffen, welche die Möglichkeit eines Notausgangs schuf. Diese Austrittsklausel wurde im Vertrag über die Europäische Union geschaffen. Sie kann allerdings zu einer veränderten Einstellung der Mitgliedstaaten zur europäischen Integration führen. Zwar kann bei den zukünftigen Integrationsschritten eine solche Austrittsklausel zu einer gewissen Flexibilität führen, da einem Mitgliedstaat, der eine weitere Vertiefung der Europäischen Union nicht mittragen möchte, ein Austritt nahegelegt werden könnte. Allerdings entstehen durch die Austrittsklausel auch negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander sowie der Mitgliedstaaten mit der Europäischen Union.

Falls die Europäische Union eine Politik verfolgt, welche ein Mitgliedstaat möglicherweise aufgrund kurzfristiger innenpolitischer Erwägungen nicht mitzutragen bereit ist, eröffnet das materiell voraussetzungslose Austrittsrecht jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit sich aus der Europäischen Union zurückzuziehen. Somit ist die Möglichkeit einer rückschreitend abgestuften Integration gegeben. Es kann dabei aber auch zu einer ungewollten Teilmitgliedschaft an der Europäischen Union kommen. Denn ein Mitgliedstaat kann austreten, aber immer noch an einigen Politiken der Europäischen Union im Wege der Assoziierung weiterhin teilnehmen. Das Austrittsrecht wird genau durch den Vertrag über die Europäische Union festgesetzt, wonach jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen kann, aus der Europäischen Union auszutreten. Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dies dem Europäischen Rat mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Europäische Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen ab, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Europäischen Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach den einschlägigen Vorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Europäischen Union geschlossen. Dies beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Parlaments der Europäischen Union.

Zur Ermittlung der qualifizierten Mehrheit im Rat findet bis zum 31. Oktober 2014 eine Stimmenwägung statt. Dabei kann aber jeder Mitgliedstaat über dieselbe Anzahl von Stimmen verfügen, wie sie ihm auch nach den Vorschriften des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft zustanden. Das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, darf weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teilnehmen. Als qualifizierte Mehrheit gilt derselbe prozentuale Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates, wie bei Abstimmungen, an denen alle Ratsmitglieder teilnehmen. Das bedeutet 73, 91 Prozent. Da der Beschluss nicht auf Vorschlag der Kommission erfolgt, müssen außerdem zwei Drittel der bestimmenden Mitgliedstaaten zustimmen. Wenn dann eine entsprechende Überprüfung verlangt wird, müssen die dem Beschluss zustimmenden Mitgliedstaaten mindestens 62 Prozent der Bevölkerung der an der Abstimmung teilnehmenden Mitgliedstaaten repräsentieren.

Ab dem 1. November 2014 findet dann keine Stimmenwägung mehr statt. Das bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union im Rat über eine Stimme verfügen wird. Als qualifizierte Mehrheit gilt dann eine Mehrheit von 72 Prozent derjenigen Mitglieder, die die beteiligten Mitgliedstaaten vertreten, sofern die betreffenden Mitgliedstaaten zusammen auch mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten repräsentieren. Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern. Dadurch wird deutlich, dass es sich um ein einseitiges Austrittsrecht handelt, das weder von der Zustimmung der übrigen Mitgliedstaaten noch vom Abschluss eines Austrittsabkommens abhängig ist.

Ein Staat, der aus der Europäischen Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, kann dies nach dem einschlägigen Verfahren beantragen. Dann kann wieder jeder europäische Staat, der die europäischen Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, beantragen, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Dabei ist eine Wartezeit nicht zu beachten. Das Parlament der Europäischen Union und die nationalen Parlamente werden anschließend über diesen Antrag unterrichtet. Der antragstellende Staat richtet seinen Antrag an den Rat, welcher einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Parlaments der Europäischen Union beschließt, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien werden dann auch wieder berücksichtigt.

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