Wie wird das Recht im Binnenmarkt angeglichen?


Die Neuerungen des Lissabonner Vertrages haben zu keinen grundlegenden Änderungen auf dem Gebiet der Rechtsangleichung des Binnenmarktes geführt. Einzige nennenswerte Änderung ist, dass der Begriff des Gemeinsamen Marktes durch den des Binnenmarktes ersetzt wurde, sowie die Einführung einer Ermächtigung zum Erlass von Maßnahmen zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums. Überraschend erscheint diese zurückhaltende Reform vor allem angesichts der unterschiedlichen Reformüberlegungen im Hinblick auf die binnenmarktbezogenen Harmonisierungskompetenzen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon existierten sowie angesichts der erheblichen Kritik, die der Gerichtshof der Europäischen Union geübt hat.

Durch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird die Europäische Union verpflichtet, nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften der Verträge den europäischen Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten. Der Binnenmarkt umfasst gemäß des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, von Personen, von Dienstleitungen und von Kapital gemäß der einschlägigen Bestimmungen gewährleistet wird. Die Möglichkeit der Union, Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu ergreifen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, stellt eines der wichtigsten Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarktkonzeptes dar. Historisch betrachtet liegt der Grund in der Schaffung dieser Rechtsvorschriften in dem Bedürfnis, in bestimmten Bereichen auch eine Rechtsangleichung mit qualifizierter Mehrheit durchführen zu können.

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union erlaubt allerdings, auf den Gebieten der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, der Arbeitsumwelt sowie des Umweltschutzes nationale Alleingänge der Mitgliedstaaten zur Optimierung des Schutzniveaus. Die entsprechenden, notwendig oberhalb des Harmonisierungsniveaus liegenden nationalen Bestimmungen sind zu notifizieren und werden von der Kommission genehmigt. Es kann sich dabei dann sowohl um die Einführung neuer als auch um den Fortbestand alter Vorschriften handeln. Die Union besitzt allerdings keine alleinige Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes. Maßnahmen dürfen nur vorgenommen werden, wenn sie die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sind dies Maßnahmen, durch die die nationalen Rechtsvorschriften über die Produktionsbedingungen in einem bestimmte Wirtschaftssektor zur Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen in diesem Sektor angeglichen werden sollen und die geeignet sind, zur Verwirklichung des Binnenmarktes beizutragen. Ausreichend ist allerdings nicht, dass festgestellt wird, dass es Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Vorschriften gibt oder eine abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder der Wettbewerbsverzerrung besteht. Die tatsächlichen Hemmnisse müssen vielmehr spürbare Wettbewerbsverzerrungen darstellen, die durch eine Rechtsangleichung beseitigt werden sollen.

Anhand der Effekte auf die Verbraucher wird das Spürbarkeitskriterium in der Wettbewerbskontrolle von der Kommission verwendet. Vor diesem Hintergrund kann es, auch wenn dem Verbraucherschutz und dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen ist, nur solchen Maßnahmen als Rechtsgrundlage dienen, welche die Marktbedingungen nicht nur nebenbei harmonisieren, sondern schwerpunktmäßig darauf abzielen, den Anbietern die binnenmarktweite Vermarktung ihrer Lebensmittel zu ermöglichen oder den Verbrauchern die binnenmarktweite Nachfrage zu erleichtern. Es besteht ferner die Möglichkeit, Angleichungsrichtlinien in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren durch den Rat einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments zu erlassen. Richtlinien sind nicht unmittelbar anwendbar in den Mitgliedstaaten sondern geben nur verbindlich ein Ziel vor, das mit verschiedenen Mitteln erreicht werden kann. Deshalb ist Rechtsangleichung nicht der Rechtsvereinheitlichung gleichzusetzen. Eine solche Rechtsangleichung könnte nämlich nur durch eine unmittelbar anwendbare Verordnung erfolgen.

Ferner begründet der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine spezielle Rechtsgrundlage zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums sowie zur Einführung von zentralisierten Zulassungsregelungen, Koordinierungsregelungen und Kontrollregelungen auf Ebene der Europäischen Union. Hierfür gilt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit im Rat. Es braucht damit nicht mehr auf die Flexibilitätsklausel zurückgegriffen werden, für die einerseits Einstimmigkeit im Rat sowie andererseits die bloße Anhörung des Parlaments erforderlich waren.

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