Das Zusammenspiel des deutschen und des europäischen Kartellrechts


Zwischen dem Patentrecht und dem Kartellrecht besteht ein natürliches Spannungsverhältnis. Patente stellen nämlich eine Wettbewerbsbeschränkung dar. Der Zweck des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen liegt jedoch gerade in der Unterbindung von Wettbewerbsbeschränkungen. Besonders deutlich tritt der Zusammenhang zwischen Patent- und Kartellrecht zutage, wenn man eine historische Betrachtung der Entwicklung des Patentrechts unternimmt. Als Ausgangspunkt für die Überwindung des Privilegienwesens wird allgemein das Statute of Monopolies angesehen, welches in England bereits im Jahre 1642 erlassen wurde. Im Kern handelte es sich hierbei um ein Antimonopolgesetz, welches sich gegen die willkürliche Vergabe von Patenten an Günstlinge der englischen Krone richtete. Stattdessen wurde nach den Vorschriften dieses Gesetzes dem ersten und wahren Erfinder - first and true inventor - ein Recht auf die ausschließliche Benutzung oder Herstellung neuer Gewerbeverfahren oder -erzeugnisse aller Art zuerkannt.

Vom Kartellrecht sind die mit der Erteilung von Patenten verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen hinzunehmen. Diese Wirkungen sind durch die vom Gesetzgeber verfolgten rechtspolitischen Ziele - hierzu zählt insbesondere die Förderung von Innovationen - nicht lediglich legitimiert, vielmehr sind sie überdies erwünscht. Der mit der Verleihung eines Ausschließlichkeitsrechts verbundene Eingriff in den freien Wettbewerb soll nach dem Paradoxon „Wettbewerbsföderung durch Wettbewerbsbeschränkung“ innovative Leistungen belohnen und einen Ansporn dazu bieten, die hierzu erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen und Investitionen zu tätigen. Dadurch, dass ein Schutz vor imitierendem Wettbewerb geboten wird, soll eine Förderung des substitutiven Wettbewerbs bewirkt werden. Jedoch sind korrigierende Eingriffe des Kartellrechts von Nöten, wenn die Machtstellung, die mit dem rechtlichen Monopol verbunden ist, missbraucht wird. Eine Übermonopolisierung kann nämlich kontraproduktive Wirkungen entfalten, wenn Innovation eben nicht gefördert, sondern eher gehemmt wird. Daher bedarf es einer Integration des Immaterialgüterschutzes in die Wettbewerbsordnung.

Lange Zeit herrschte in Deutschland die sogenannte Inhaltstheorie vor. Diese ging von einer generellen Unanwendbarkeit des Kartellrechts innerhalb des Inhalts des betreffenden Immaterialgüterrechts aus. Dessen Kern war somit einer kartellrechtlichen Prüfung entzogen. Die Inhaltstheorie fand insbesondere mit Blick auf Patente, Gebrauchsmuster, Topografien und Sortschutzrechte sowie für geheimes Wissen einen Niederschlag in der alten Fassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Demzufolge sollten Beschränkungen hinsichtlich der Art, des Umfangs, des technischen Anwendungsbereichs, der Menge, des Gebiets oder der Zeit der Ausübung des Schutzrechts zum durch das Kartellrecht nicht antastbaren Kern gehören. Für Marken-, Urheber- und Geschmacksmusterrecht wurde entsprechend der Inhaltstheorie gleichfalls ein kartellrechtsfreier Raum angenommen. Die dargestellten Regelungen wurden durch eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen jedoch im Jahre 2005 abgeschafft. Somit gelten bezüglich Patenten, Gebrauchsmustern und geheimen Wissens nun die einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnungen der Europäischen Union. Diese sind nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch im Rahmen des nationalen Rechts anzuwenden. Besondere Relevanz kommt der Gruppenfreistellungsverordnung „Technologietransfer“ und im Bereich der Forschung und Entwicklung einschließlich der Verwertung entstehender Patente, Gebrauchsmuster oder geheimen Wissens der Gruppenfreistellungsverordnung „Forschung und Entwicklung“ zu.

Die Neuregelung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Durch die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Jahre 2005 wurde das deutsche Kartellrecht ganz allgemein dem europäischen Kartellrecht angepasst. Das europäische Kartellrecht findet seine Grundlage in den Vorschriften des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die auf diesen Vorschriften beruhenden Gruppenfreistellungsverordnungen der Europäischen Union haben das deutsche Kartellrecht zunehmend verdrängt. Im Rahmen dieser Entwicklung kommt nunmehr auch ein flexibler Ansatz des europäischen Kartellrechts zum tragen, der mitunter deutlich von der überkommenen Inhaltstheorie abweicht. Diesem Ansatz zufolge ist im Sinne einer umfassenden Interessenabwägung ein gerechter Ausgleich zwischen Wettbewerbsfreiheit und Immaterialgüterschutz herzustellen. Hierin kommt die sogenannte Immanenztheorie zum Ausdruck, die eine allgemeine Lehre zur Lösung von Konflikten zwischen Kartellrecht und anerkannten privatrechtlichen Institutionen anstrebt. Im europäischen Kartellrecht wird unterschieden zwischen Bestand und Ausübung des Schutzrechts. Dies hängt damit zusammen, dass das europäische Kartellrecht aufgrund der nationalen Regelungskompetenz hinsichtlich des geistigen Eigentums lediglich die Ausübung regeln kann.

Im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob die Ausübung zulässig ist, wird dann eine Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen Gegenstandes des Schutzrechts vorgenommen. Es kann daher festgestellt werden, dass sich die These der kartellrechtlichen Immunität von Immaterialgüterrechten nach der Europäisierung des deutschen Kartellrechts im Jahre 2005 nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Vielmehr ist seit diesem Zeitpunkt eine Interessenabwägung im Lichte des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen der immaterialgüterrechtlich erwünschten und der kartellrechtlich bedenklichen Wettbewerbsbeschränkung nötig. Den Ausgangspunkt der Bewertung bildet dabei allerdings - ganz im Sinne der Inhaltstheorie - der Inhalt des Schutzrechts. Entsprechend kann das Eingreifen des Kartellrechts nicht bereits durch die Inhaberschaft eines Schutzrechts gerechtfertigt werden. Dies ist selbst dann der Fall, wenn sich aus der Inhaberschaft des Schutzrechts eine marktbeherrschende Stellung ergibt. Von entscheidender Bedeutung ist, ob die Marktmacht, die zunächst durch das Schutzrecht vermittelt wird, missbraucht wird. So kann im Extremfall der kartellrechtswidrigen Weigerung eines Unternehmens, eine Lizenz zu erteilen, mit der Anordnung einer Zwangslizenz begegnet werden. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zwangslizenz sind für Patente ebenfalls im deutschen Patentgesetz geregelt. Erteilt wird eine solche Zwangslizenz - wenn die Voraussetzungen erfüllt sind - durch das Bundespatentgericht. Zentrale Voraussetzung ist, dass das öffentliche Interesse die Erteilung einer solchen Lizenz gebietet.

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