Patent: Ergänzung des Standes der Technik durch den Fachmann


Einleitung

Vom Stand der Technik hängt ab, ob eine Erfindung vorweggenommen ist und somit nicht mehr als neu gilt. Bei der Bestimmung der Neuheit anhand des Standes der Technik ist allerdings nicht an dessen ausdrücklichen Offenbarungsgehalt zu haften. Vielmehr ist auch dasjenige mitoffenbart, was für einen Fachmann anhand des Standes Technik als naheliegend gilt oder was sich für in nahezu selbstverständlicher Weise daraus ergibt.

Prüfungsablauf

Ein Vergleich hat zu erfolgen zwischen dem Offenbarungsgehalt desjenigen Dokuments oder Sachverhalts, das beziehungsweise der möglicherweise neuheitsschädlich ist und den Ansprüchen, mit denen die Anmeldung, auf die sich die Prüfung bezieht, den Gegenstand des erstrebten Schutzes bestimmt. Dabei darf von den Ansprüchen nichts eingeschlossen sein, was schon in einer einheitlichen Beschreibung, einem einheitlichen Benutzungsvorgang oder einem einheitlichen Sachverhalt anderer Art vorweggenommen ist. Für die Prüfung erteilter Patente im Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren sowie für Gebrauchsmuster im Löschungsverfahren gilt das ausgeführte entsprechend. Der maßgebende Informationsgehalt eines Dokuments oder eines Sachverhalts bestimmt sich nach dem Verständnis des zuständigen Sachverständigen. Vom Informationsgehalt umfasst ist in diesem Zusammenhang - wie oben bereits erwähnt - auch dasjenige, was durch den Fachmann als selbstverständlich oder nahezu unerlässlich ergänzt wird oder was dieser bei aufmerksamer Lektüre quasi automatisch mitliest, also ohne Weiteres erkennt.

Beispiele für im Zusammenhang mit dem Stand der Technik Naheliegendes

Für einen Fachmann ist es beispielsweise selbstverständlich, dass zu einer kompletten Steckverbindung neben dem in einem Dokument erwähnten Steckverbinder ein entsprechend ausgebildeter Gegensteckverbinder gehört. Weiter liest der Fachmann, wenn für zwei Steuerkreise eine analoge Wirkungsweise beschrieben und dabei nur für einen von ihnen ein stufenloses Steuern des zugeordneten Ventils ausdrücklich dargelegt ist, für den anderen Steuerkreis ein stufenloses Steuern des entsprechenden Ventils mit. Außerdem ist die Wirkungsweise eines Elements, die über die in einem Dokument aufgeführte hinausgeht, automatisch mitoffenbart, wenn sie sich für den Fachmann beim Lesen zweifelsfrei ergibt. Darüber hinaus liest ein Fachmann als selbstverständlich mit, dass einer Fotodiode ein Treiber nachgeschaltet ist. Er liest allerdings nicht mit, dass dieser eine bestimmte von zwei möglichen Ausgestaltungen aufweist.

Schließlich wurde auch eine bestimmte Vorbeschreibung als neuheitsschädlich angesehen. Die Vorbeschreibung unterschied sich von dem unter Schutz gestellten Verfahren dadurch, dass Angaben über die Herstellung kristallinen Cholinsalicylats fehlten. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Darstellung als Kristall für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens am Anmeldetag selbstverständlich und mittels eines geläufigen Verfahrens möglich gewesen sei. Des Weiteren gehört zum neuheitsschädlichen Offenbarungsgehalt der Beschreibung eines Verfahrens auch dasjenige, was der Fachmann erst beim Nacharbeiten des Verfahrens über dessen Ergebnis unmittelbar oder zwangsläufig erfährt. Der Stand des in der Person des Fachmanns vorauszusetzenden Wissens bestimmt sich nach dem Zeitrang der Anmeldung oder des Schutzrechts, deren Neuheit Gegenstand einer Prüfung ist. Einbezogen werden in das Wissen des Fachmanns kann unter anderem auch das Ergebnis einer zielgerichtet und ohne großen Aufwand durchführbaren Literaturrecherche. Dazu kann beispielsweise der Beitrag in einer verbreiteten, dem Fachmann bekannten Zeitschrift zählen.

Nicht zum Wissen des Fachmanns zählt jedoch das Ergebnis einer umfassenden Recherche. Unter Umständen kann auch Veranlassung zu der Annahme bestehen, dass der zuständige Fachmann einen anderen Fachmann zu Rate ziehen wird. So kann ein Fachmann zum Beispiel einen Programmierer konsultieren, wenn sich in einer Veröffentlichung Hinweise darauf finden, dass weitere Einzelheiten einer beigefügten Programmliste zu entnehmen sind, der Rat suchende Fachmann allerdings nicht genügend Kenntnis der verwendeten Programmiersprache hat.

Daraus, dass das fachmännische Verständnis für die Beurteilung der Neuheit ausschlaggebend ist, folgt auch, dass im Rahmen der Bewertung der Informationen, die einem zum Stand der Technik gehörenden Sachverhalt zu entnehmen sind, auf den jeweiligen Sachzusammenhang zu achten ist. Dies gebietet unter anderen, dass Merkmale, die funktional eine Einheit bilden, nicht getrennt werden dürfen. Des Gleichen ist es nicht ohne weiteres zulässig, Einzelangaben in jeder beliebigen Kombination als dem Fachmann offenbart gelten zu lassen. Auch sollten sie nicht in einer Weise verknüpft werden, die der in einer Entgegenhaltung verfolgten grundsätzlichen Zielrichtung entgegensteht. Was unter normalen Umständen von Fachmann erwartet werden kann, ist, dass er die technische Lehre eines Beispiels mit der an anderer Stelle desselben Dokuments offenbarten allgemeinen Lehre in Verbindung bringt. In einem Dokument auf zeichnerische Weise dargestellte Merkmale können bereits durch die Art ihrer Darstellung in einer für den Fachmann nacharbeitbaren Weise offenbart sein. Dem Fachmann liegt es in der Regel jedoch grundsätzlich fern, einer nur schematischen Darstellung konkrete Abmessungen der Erfindung zu entnehmen.

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