Patent: Wozu dient der Aufgabe-Lösung-Ansatz?


Einleitung

Das Beruhen der Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit ist eine ihrer Patentierungsvoraussetzungen. Die Beurteilung dieses Erfordernisses kann anhand verschiedener Methoden erfolgen. In der Praxis jedoch hat sich eine Methode durchgesetzt. Aufgrund des wesentlichen Gleichlaufs der Beurteilung des Erfordernisses des Beruhens der Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht und demjenigen des Beruhens der Erfindung auf einem erfinderischen Schritt im Gebrauchsmusterrecht gelten die folgenden Ausführungen sowohl für das Patent- als auch das Gebrauchsmusterrecht. Abweichendes gilt nur, sofern dies gesondert ausgeführt wird.

Der Aufgabe-Lösung-Ansatz

Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wird vom Europäischen Patentamt regelmäßig nach dem sogenannten Aufgabe-Lösung-Ansatz vorgenommen. Dieser Ansatz ist nach den einschlägigen Richtlinien und auch nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in drei Teile untergliedert. Zunächst ist demnach der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln. Im Anschluss hat die Bestimmung der technischen Aufgabe zu erfolgen, die es zu lösen gilt. Schließlich ist die Frage zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung in Anbetracht des nächstliegenden Standes der Technik und der technischen Aufgabe für einen Fachmann naheliegend war. Die Bestimmung der technischen Aufgabe erfolgt mit Hilfe von objektiven Kriterien durch eine Untersuchung der zwischen der Erfindung und dem nächstliegenden Stand der Technik bestehenden strukturellen oder funktionellen Unterschiede in Bezug auf die technischen Merkmale. Die Aufgabe besteht darin, über die Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Standes der Technik diejenigen technischen Wirkungen zu erreichen, die die Erfindung über diesen hinaus verschafft. Damit muss jedoch nicht notwendigerweise eine Verbesserung verbunden sein. Die objektive Aufgabe wird unter Bezugnahme auf den Stand der Technik bestimmt. Dies hat zur Folge, dass sie auch von derjenigen Aufgabe abweichen kann, die in der Anmeldung oder der Patentschrift angegeben wurde.

Dies ist dann der Fall, wenn die Ermittlungen einen Stand der Technik ergeben, den der Anmelder nicht berücksichtigt hat oder der im Erteilungsverfahren nicht beachtet wurde. Sofern dies möglich ist ohne dabei eine unzulässige Erweiterung vorzunehmen, wird die Aufgabe dann einfach neu formuliert. Eine unzulässige Erweiterung ist dann nicht notwendig, wenn die Neuformulierung im Rahmen des ursprünglichen Offenbarungsgehalts der Anmeldung erfolgen kann. Umfasst die Aufgabe laut Patentschrift oder Anmeldung beispielsweise eine Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik, so kann die Aufgabe dahin umformuliert werden, dass die im Stand der Technik vorhandenen Lösungen lediglich durch eine weitere Variante bereichert werden sollen. Durch die Prüfung des Naheliegens einer Erfindung soll der maßgebliche Stand der Technik daraufhin untersucht werden, ob in ihm eine Lehre enthalten ist, durch die sich ein Fachmann, der mit dem vorliegenden technischen Problem befasst ist, veranlasst sehen würde, durch eine Änderung oder Anpassung des nächstliegenden Standes der Technik unter Berücksichtigung dieser Lehre zu etwas zu gelangen, was vom Patentanspruch umfasst ist. Er würde dadurch etwas erreichen, was auch und gerade durch die Erfindung erreicht wird.

Für diese Handhabung wird angeführt, dass durch die dargestellte Methode eine rückschauende Betrachtungsweise vermieden würde. Eine rückschauende Betrachtung mache nämlich unzulässigerweise bereits von der Erfindung Gebrauch. Entgegengehalten wird der Methode jedoch zum Teil, dass sie an sich eben auch auf einer solchen rückschauenden Betrachtungsweise beruhe. Ihr würden schließlich die Ergebnisse einer Recherche, bei der die Erfindung bereits bekannt ist, zugrunde gelegt. Die dargestellte Methode sei deshalb ebenfalls nur mit Vorsicht anwendbar. Des Weiteren wird eingewandt, dass das Ausgehen vom nächstliegenden Stand der Technik zu künstlichen und technisch unrealistischen Aufgabenformulierungen führe. Die eigentlich entscheidende Frage nach dem Naheliegen würde so in den Hintergrund gedrängt. Letztlich kann jedoch dem dargestellten Aufgabe-Lösung-Ansatz die Nützlichkeit und Handhabbarkeit im Sinne einer Richtschnur keinesfalls abgesprochen werden. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundespatentgericht verfahren oft - wohl teilweise unbewusst - nach dieser Methode.

Allerdings machen sie diese Methode nicht zur grundlegenden oder allein anwendbaren Regel. Im Rahmen der Anwendung dieser Methode sind mögliche Fehlerquellen jedoch genau zu überwachen. Mögliche Fehlerquellen erwachsen zunächst aus der Tatsache, dass die Festlegung des nächstliegenden Standes der Technik gezwungenermaßen in Kenntnis der Erfindung erfolgt. Eine weitere Ursache für mögliche Fehlerquellen ist darin zu sehen, dass ebenfalls die Bestimmung der objektiven Aufgabe mittels eines Vergleichs der Erfindung mit dem nächstliegenden Stand der Technik erfolgt. Schließlich ist zu beachten, dass stets auch die Gefahr gegeben ist, dass solche Informationen, die zwar nicht zum nächstliegenden Stand der Technik gehören, wohl aber zu demjenigen, der sachlich gleichwohl einschlägig ist, nicht hinreichend beachtet werden. Gleiches gilt insbesondere für die Frage, ob es zu erwarten war, dass der Fachmann eine Verknüpfung verschiedener Elemente des Standes der Technik vornimmt. Des Weiteren stellt sich sodann die Frage, ob in der Bestimmung der Aufgabe durch einen Vergleich der beanspruchten Erfindung mit dem nächstliegenden Stand der Technik mehr gesehen werden kann als ein nur besonders bezeichneter Schritt im Rahmen des Vergleichs mit dem Stand der Technik.

Bei diesem Schritt wären dann außer dem nächstliegenden Stand der Technik auch andere Sachverhalte einzubeziehen. Wäre in dieser Bestimmung nicht mehr zu sehen, so könnte auf eine separate Aufgabenbestimmung im dargestellten Sinne ebenso gut verzichtet werden. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit könnte so flexibler an der nach dem Gesetz maßgebenden Frage ausgerichtet werden, ob sich die beanspruchte Erfindung für den Fachmann bereits vor dem Prioritätszeitpunkt in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat. Das Europäische Patentamt hat auch in jüngeren Entscheidungen regelmäßig betont, dass es weiterhin nach dem Aufgabe-Lösung-Ansatz verfährt.

Schwierig zu erlangende Informationen

Solche Informationen, die für einen Fachmann nur unter Schwierigkeiten erreichbar sind, dürfen nicht allein aufgrund eben dieses Umstandes bei der Bestimmung des öffentlich zugänglichen Standes der Technik außer Betracht bleiben. Die Nahelegung einer Erfindung kann nach dem Patentrecht auch durch solche Informationen erfolgen, die aufgrund der Umstände, unter denen sie der Öffentlichkeit zugänglich werden, regelmäßig nicht von einem inländischen Fachmann herangezogen werden. Der Zweck des Erfordernisses des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit erfordert, dass es augeschlossen ist, dass derjenige, der eine solche unbeachtete Information aufgreift, sie in einer naheliegenden Abwandlung schützen lassen kann. Außerdem folgt aus dem Zweck des Erfordernis, dass es gewährleistet sein muss, dass diejenigen, die die öffentlich zugängliche Information in naheliegender Weise verwerten wollen, nicht durch ein Patent beeinträchtigt werden, das auf eine solche Abwandlung erteilt wird. Daraus folgt, dass ein Patent auch dann nicht erteilt werden kann, wenn der Erfinder die öffentlich bekannte Information nicht gekannt hat und er selbständig und unabhängig von dieser Information seine Erfindung getätigt hat.

Entsprechendes gilt im Gebrauchsmusterrecht bezüglich derjenigen Informationen, die dort zum Stand der Technik gezählt werden. Zwar kann vom Fachmann regelmäßig nicht erwartet werden, dass er seine Suche nach verwertbaren Anregungen auch auf faktisch entlegene Quellen erstreckt. Jedoch ist es auch nicht gänzlich ausgeschlossen oder unwahrscheinlich, dass aus einer großen Anzahl von Fachleuten zumindest vereinzelte Fachleute im Rahmen ihrer gewöhnlichen Tätigkeit auf solche Quellen stoßen. Nach dem Gesetz allerdings ist hierin kein Verdienst zu erblicken, der den Schutz durch ein Patent rechtfertigen würde. Dies folgt bereits aus dem Erfordernis der Neuheit der Erfindung. Kosequenterweise ist daher für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit oder eines erfinderischen Schritts zu fordern, dass eine Fortentwicklung erreicht wird, welche der Fachmann nicht erwarten würde. Hierbei ist der Informationsgehalt zu beachten, der der Quelle unter normalen Umständen zukommt. Hieraus ist jedoch keinesfalls die Forderung zu formulieren, dass dem Fachmann als gedachtem Normaltypus unterstellt werden sollte, er habe Kenntnis vom gesamten Stand der Technik.

Damit das Erfordernis des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit seine freihaltende Funktion erfüllen kann, ist es bereits ausreichend, wenn ausschließlich die Möglichkeit beliebiger Kenntnisnahmen, die im Zugänglichsein für die Öffentlichkeit zu sehen ist, berücksichtigt wird. Eine schematische Vorgehensweise ist hier nicht erforderlich. Vielmehr kann in dem Umstand, dass eine an sich der Öffentlichkeit zugängliche Information bis zum Stichtag keinerlei Beachtung erfahren hat, im Einzelfall auch ein Hinweis darauf zu sehen sein, dass dieser Information bereits aufgrund ihres Inhalts für den Fachmann keinerlei Anregung zur Erfindung zu entnehmen ist. Zurückhaltend ist auch bezüglich der Annahme vorzugehen, dass bereits vor dem Stichtag zu erwarten war, dass der Fachmann eine solche Information mit anderen Teilen des Standes der Technik verknüpft.

Die Bekanntheit der Erfindung im Zeitpunkt der Prüfung

Es ist nicht zu verhindern, dass während der Prüfung hinsichtlich des Beruhens der Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit die Erfindung bereits bekannt ist. Außerdem ist zu beachten, dass der Stand der Technik zum Zeitpunkt der Prüfung oftmals einen beträchtlichen Zuwachs im Vergleich zu demjenigen am Stichtag erfahren hat. Entscheidend für die Beurteilung des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit ist jedoch allein, ob sich die Erfindung für den Fachmann zum damaligen Zeitpunkt in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat. Unberücksichtigt bleiben muss somit der zwischenzeitliche Zuwachs des Standes der Technik sowie der zwischenzeitliche Zuwachs des gewöhnlichen Fachwissens. Außerdem ist es nicht zulässig, den als Beurteilungsgrundlage dienenden Stand der Technik um solche Erkenntnisse zu erweitern, die gerade erst durch die zu beurteilende Erfindung geschaffen wurden. Auch darf keine Vervollkommnung der Fähigkeiten des Fachmanns erfolgen. Eine solche Vervollkommnung kann durch eine verbesserte Ausbildung oder durch die Erreichung eines insgesamt anspruchsvolleren Niveaus aufgrund der technischen Entwicklung eingetreten sein.

Anhand dieser Maßgaben wird oft gefordert, dass für die Beurteilenden eine rückschauende Betrachtungsweise verboten sein müsse. Gemeint ist hiermit, dass die Bewertung von Erfindungen nicht rückblickend aus der Sicht des Entscheidungszeitpunkts zu erfolgen hat. Aus dieser Sicht ist es nämlich selten so, dass frühere Erfindungen als unbedeutend erscheinen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn durch sie einfache, unmittelbar einleuchtende Lösungen erreicht wurden. Vom Beurteilenden ist vielmehr gefordert, dass dieser sich in die Situation zurückversetzt, die am Stichtag vorgeherrscht hat. Zwar erscheint dies im Grundsatz selbstverständlich. Im Rahmen der praktischen Umsetzung ergeben sich jedoch nicht selten erhebliche Schwierigkeiten. Stets besteht die Gefahr, dass der Beurteilende auch unbewusst in seiner Entscheidung von Wissen, Informationen oder Fähigkeiten beeinflusst wird, die am Stichtag noch nicht vorhanden waren. Hierin liegt eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle betreffend die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Erfindung. Eingeschränkt oder nach Möglichkeit beseitigt werden kann die Gefahr nur dadurch, dass nicht nur der Stand der Technik, sondern vielmehr auch das Fachwissen und in diesem Zusammenhang auch das Können des nach Gebiet und Qualifikation maßgebenden Fachmanns für den Stichtag konkret belegt werden.

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