MT Bedeutung und Zweck des Erfordernisses einer erfinderischen Leistung im Patentrecht


Einführung

Neben dem Erfordernis der Neuheit besteht für die Patentierbarkeit einer gewerblich anwendbaren, nicht vom Schutz anderweitig ausgeschlossenen Erfindung auch das Erfordernis, dass die Erfindung sich nicht aus dem maßgebenden Stand der Technik für einen Fachmann in naheliegender Weise aus diesem ergeben darf. Durch dieses Erfordernis wird einem erheblichen Teil der Erfindungen, die nicht zum Stand der Technik gehören, die Möglichkeit des Patentschutzes verschlossen. Diese Einschränkung hat ihre Grundlage im Zweck des Patentschutzes. Nach allgemeiner Erfahrung wird technisches Wissen bereits durch seine permanente Anwendung erweitert und einer immer weiterschreitenden Vervollkommnung unterzogen. Bereits in seiner alltäglichen Arbeit zum Beispiel hat ein Techniker nicht lediglich bereits Vorgegebenes in unveränderter Weise zu wiederholen. Vielmehr wird vom ihm häufig verlangt, dass er das ihm Bekannte auch in Abwandlungen ihm bekannter Vorrichtungen, Materialien und Verfahren anwendet. Betreffend die Neuerungen, die durch diese normale technologische Weiterentwicklung zustandekommen, besteht jedoch kein Bedürfnis einer Förderung durch den Anspornungseffekt des durch ein Patent gewährten Schutzes.

Dies wird damit begründet, dass die Urheber dieser Neuerungen diese Förderung gar nicht verdient haben. Sie haben schließlich lediglich dasjenige vollzogen, was ohne sie auch durch irgendeinen anderen routinemäßig tätigen Fachmann bewirkt worden wäre. Würden Ausschlussrechte gewährt für Neuerungen, die auf diesem Wege zustandekommen, so bewirkte dies eben keine Förderung des Fortschreitens der Technik, sondern allenfalls eine Hemmung dieses Fortschritts. Bestünde die Möglichkeit der Patentierung hinsichtlich jeder auch nur geringfügigen Veränderung einer Problemlösung, die dem Fachmann in einer einheitlichen, der Öffentlichkeit vor dem Stichtag zugänglich gemachten Informationsquelle, offenbart wurde, so hätte dies die Gefährdung der freien Benutzbarkeit der aus der Alltagspraxis erwachsenen Abwandlungen des Standes der Technik zur Folge. In der Konsequenz müssten Unternehmen, die Behinderungen durch fremde Schutzrechte möglichst vermeiden wollen, so schnell als möglich Schutz für jegliche noch so naheliegende Verbesserungen, die im Betrieb entwickelt werden, anstreben. Die aus dieser Praxis hervorgehenden Ausschlussrechte hätten eine Lähmung des Einsatzes des Standes der Technik zur Folge.

Herleitung des Erfordernisses

Im deutschen Patentrecht ist man recht früh zu der Erkenntnis gelangt, dass es aus den oben ersichtlichen Gründen neben dem Erfordernis der Neuheit der Erfindung einer weiteren auf den Stand der Technik bezogenen Patentierungsvoraussetzung bedarf. Anderenfalls bestünde keine Raum mehr für normalen, sich aus dem Alltag ergebenden, Fortschritt. Da das deutsche Patentrecht allerdings keine Vorschrift enthielt, die dieses Erfordernis ausdrücklich vorsah, hat man es zunächst aus dem Erfindungsbegriff und dem Zweck des Patentschutzes hergeleitet. Von Bedeutung waren in diesem Zusammenhang sowohl die Vorteile, die mit einer neuen Problemlösung erzielt wurden, als auch die Schwierigkeiten, die es für ihr Erreichen zu überwinden galt. Das Reichsgericht und das Patentamt haben das Verhältnis der beiden Gesichtspunkte in einer Reihe von Entscheidungen schließlich dahin entwickelt, dass die Patentierbarkeit einer Erfindung sowohl Fortschritt als auch Erfindungshöhe voraussetzte. Demnach musste die Erfindung zum einen gewisse Vorteile mit sich bringen. Zum anderen durfte sie aber nicht für einen durchschnittlichen Fachmann naheliegend gewesen sein. In der Folge wurden diese Maßstäbe vom Deutschen Patent- und Markenamt, dem Bundespatentgericht und dem Bundesgerichtshof übernommen.

Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass dem Erfordernis der Erfindungshöhe deutlich mehr praktische Relevanz zukommt als demjenigen des Fortschritts. Das Scheitern am Erfordernis der Erfindungshöhe wurde zum häufigsten Grund für die Versagung oder Vernichtung von Patenten. Das Erfordernis des Fortschritts hingegen hat einen so weitgehenden Bedeutungsverlust erfahren, dass es weder in das geltende deutsche noch in das europäische Patentrecht Einzug erhalten hat. Die Erfindungshöhe hat mittlerweile eine Bedeutung erlangt, die im Wesentlichen dem Zweck des Patentschutzes entspricht. Demnach bedarf nur derjenige technische Fortschritt einer besonderen Förderung, der sich nicht schon aus der Anwendung des jeweiligen Standes der Technik ergibt. Von den hierbei entstehenden Neuerungen können im Einzelfall enorme Vorteile ausgehen. Das Erfordernis eines - wenn auch erheblichen - Fortschritts aber erweist sich hier schlicht nicht als ausreichend. Vielmehr muss es außerdem zu den Patentierungsvoraussetzungen gehören, dass sich die Neuerung von demjenigen abhebt, was unter normalen Umständen zu erwarten ist.

Fraglich kann allenfalls sein, ob es zusätzlich eines Vorteils bedarf. Dies ist weder nach dem geltenden deutschen noch dem geltenden europäischen Recht der Fall. Die Erklärung hierfür findet sich nicht lediglich in den Erfahrungen der deutschen Patentrechtspraxis. Vielmehr entspricht diese Handhabe auch dem System des Patentschutzes. Der Patentschutz belohnt namentlich nicht unmittelbar, sondern mittels der besonderen Marktchance, die sich durch ein zeitweiliges Recht der alleinigen Benutzung ergibt. Die Bewertung der Vorteile kann daher getrost dem Markt selbst überlassen werden.

Bezugnahme auf den Fachmann

Die Technik hat nicht die Fähigkeit einer selbständigen Entwicklung. Vielmehr ist es so, dass jegliche Veränderungen eines gegebenen Bestands an Problemlösungen stets auf das Werk von Menschen zurückgehen. Dass sich die Veränderungen zum großen Teil während alltäglicher, routinemäßiger Anwendungen ergeben, ist von keinerlei Bedeutung. Die Neuerungsleistungen, die von den im Rahmen gewöhnlicher Praxis mit dem Stand der Technik arbeitenden und für diese Tätigkeit fachlich geschulten Menschen zu erwarten sind, bestimmen daher gleichzeitig denjenigen Bereich, den es im Interesse des technischen Fortschritts von patentrechtlichen Beschränkungen freizuhalten gilt. Hierin liegt die Rechtfertigung der Bezugnahme der geltenden Regelung auf den Fachmann. Diese Bezugnahme war auch lange vor ihrer gesetzlichen Verankerung im deutschen Patentrecht als gängige Praxis anerkannt. Jedoch ist zu beachten, dass es sich bei diesem Kriterium keineswegs um ein subjektives handelt. Es ist schließlich nicht entscheidend, was ein bestimmtes Subjekt als Erfinder gewusst oder sich vorgestellt hat oder wie die Meinung dieses Subjekts als Beurteilender ausfällt. Vielmehr ist es so, dass eine Gegenüberstellung zu erfolgen hat zwischen der Erfindung als außerpersönlichem und unkörperlichem Objekt und dem ebenfalls objektiv feststehenden Stand der Technik.

Sodann hat eine Beurteilung im Lichte derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erfolgen, die vom Fachmann nicht als einer individuell bestimmten Person, sondern als einem gedachten Normaltypus (also objektiv), erwartet werden dürfen. Stets hat eine objektive Beurteilung zu erfolgen. Natürlich ist es so, dass sich tatsächliche Einflüsse aus der Person des Beurteilenden nie völlig ausschließen lassen. Dies ist jedoch eine unerwünschte Folge der menschlichen Unvollkommenheit, die keinesfalls dazu berechtigt, die Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit wesentlich einem subjektiven Empfinden zu überlassen.

Objektive Orientierung am Ergebnis

Die Beurteilung erfolgt auch insofern objektiv, als es belanglos ist, was der Erfinder getan hat. Es spielt keine Rolle, auf welchem Wege er zu seiner neuen Problemlösung gelangt ist. Die Patentierbarkeit einer Erfindung ist auf der einen Seite nicht bereits dadurch gewährleistet, dass ein hohes Maß an persönlicher Anstrengung, etwa in Form von langwierigen, umständlichen und mühevollen Versuchen, erforderlich war. Auf der anderen Seite wird die Patentierbarkeit aber auch nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass die Erfindung scheinbar mühelos und ohne jegliche Anstrengung erlangt wurde. Der erfinderische Charakter einer Tätigkeit richtet sich keineswegs nach ihrem Verlauf, sondern einzig und allein nach ihrem Ergebnis. Die Tätigkeit hat immer - aber auch nur dann - erfinderischen Charakter, wenn ihr Ergebnis eine Erfindung ist, die sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Der alte Begriff der Erfindunghöhe entsprach eher dem Erfordernis des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit. Jedoch war es nicht möglich, dieses Erfordernis in einer übernationalen Terminologie umzusetzen. Vielmehr wurde der Begriff mit dem Erfordernis des Nicht-Naheliegens gleichgesetzt. Daraus ergibt sich, dass im Rahmens des deutschen Rechts die Rechtsprechung betreffend die Erfindungshöhe nicht bedeutungslos geworden ist, sondern weiterhin herangezogen werden kann. Im europäischen Patentrecht wurde lange erwartet, dass die Kriterien für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen mit denen im deutschen Recht übereinstimmen sollen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich diese Erwartungen nicht vollends bestätigt haben. In einer frühen Entscheidung hat der Europäische Patentamt entschieden, dass das von ihm geforderte Ausmaß der erfinderischen Tätigkeit in keinem Fall unter dem liegen soll, was als durchschnittlicher Beurteilungsmaßstab in den Vertragsstaaten betrachtet werden kann.

Dadurch sollte es möglich sein, durch europäische Patente ausreichend Rechtssicherheit für den Fall zu bieten, das ihre Gültigkeit vor nationalen Gerichten angefochten wird. Für das Bundespatentgericht waren im Jahr 1998 keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der durchschnittliche Bewertungsmaßstab des Europäischen Patentamts von dem des deutschen Rechts in deutlicher Weise abweiche. Zwar wurde gelegentlich eine unterschiedliche Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hinsichtlich derselben Erfindung vom Europäischen Patentamt und dem Bundespatentgericht beobachtet. Daraus sei jedoch keinesfalls auf unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe zu schließen. Die Unterschiede ließen sich vielmehr zum Teil auch schlicht daraus erklären, dass den Entscheidungen nicht derselbe Stand der Technik zu Grunde lag.

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