Die erfinderische Leistung bei überraschenden Erfindungen


Einleitung

Eine Erfindung kann nur dann dem Erfordernis des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit genügen, wenn sie sich für einen Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Mitunter kann es jedoch vorkommen, dass die technische Handlungsanweisung zwar sehr wohl naheliegend war, sie jedoch zu völlig überraschenden Ergebnissen führt. Aufgrund des wesentlichen Gleichlaufs der Beurteilung des Erfordernisses des Beruhens der Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht und demjenigen des Beruhens der Erfindung auf einem erfinderischen Schritt im Gebrauchsmusterrecht gelten die folgenden Ausführungen sowohl für das Patent- als auch das Gebrauchsmusterrecht. Abweichendes gilt nur, sofern dies gesondert ausgeführt wird.

Überraschende Ergebnis im Rahmen an sich naheliegender Aufgaben

Es kommt nicht selten vor, dass eine Aufgabe, die dem Fachmann an sich keine Schwierigkeiten bereitet, ein überraschendes, wertvolles Ergebnis liefert. Als Beispiel sei das Fachwissen eines Chemikers genannt, in dem bereits vielfältige Möglichkeiten enthalten sind, neue Verbindungen sowohl ihrer Formel nach zu definieren als auch herzustellen. Gleichfalls ist es ohne größere Schwierigkeiten möglich, neue Resultate zu erzielen, indem bekannte Herstellungsverfahren durch Änderung der Ausgangsstoffe oder Ablaufbedingungen verändert werden. Stellt sich heraus, dass ein auf diesem Wege gewonnener neuer Stoff überraschende oder vorteilhafte Eigenschaften oder Wirkungen aufweist, so besteht unter Umständen ein starkes wirtschaftliches Interesse am Schutz dieses neuen Stoffes durch ein Patent. Gleiches kann dann der Fall sein, wenn sich aus der naheliegenden Abwandlung eines bekannten Verfahrens ein nicht vorhersehbarer Reaktionsverlauf ergibt. In der Praxis scheitert der Schutz der Erfindungen in diesen Fällen nicht daran, dass dem Fachmann die angewandten Maßnahmen bekannt waren.

Vielmehr wird anerkannt, dass das gewöhnliche Wissen und die Fähigkeiten eines durchschnittlichen Fachmanns in Anbetracht der unübersehbaren Fülle an Möglichkeiten, die sich für routinemäßiges Verhalten eröffnen, nicht ausreichend sind, um mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu einem Erfolg zu gelangen. Aufgrund des überraschenden Ergebnisses haben Fachwissen und Stand der Technik keinen Hinweis darauf gegeben, in welcher Richtung der Erfolg zu suchen ist. Außerdem kann von einem durchschnittlichen Fachmann nicht erwartet werden, dass er Experimente aufgrund der vagen Aussicht auf einen Zufallstreffer anstellt. Es fehlt hingegen an einer erfinderischen Tätigkeit, wenn eine Maßnahme, von der eine verbesserte Wirkung aus fachmännischer Sicht nicht zu erwarten ist, erwartungsgemäß auch keine solche Wirkung zur Folge hat.

Der Bundesgerichtshof hat dies im Zusammenhang mit der Zugabe von Trigonellin zur Rezeptur eines der Haarwuchsförderung dienenden Heilmittels angenommen. Der Sachverständige hatte in diesem Fall bekundet, dass Trigonellin bei peroraler Einnahme keine diesbezügliche Wirkung habe. Die Beurteilung des Bundesgerichtshof ist vor dem Hintergrund einer dem Fachmann ohne Weiteres zu Gebote stehenden Maßnahme sicher angebracht. Ob dies allerdings auch dann der Fall ist, wenn sich eine Maßnahme, die dem Fachmann nicht naheliegt, als nutzlos erweist, mag fraglich sein. In der deutschen Praxis hat die Berücksichtigung überraschender Ergebnisse bei der Beurteilung des erfinderischen Charakters der zu ihrer Erzielung angewandten Maßnahmen zunächst zur Anerkennung der Patentierbarkeit sogenannter Analogieverfahren geführt. Diese gewährleistete in Verbindung mit dem Schutz der Verfahrenserzeugnisse einen recht wirkungsvollen Ersatz für den bis zum Jahre 1968 fehlenden Stoffschutz. Durch die spätere Aufhebung des Stoffschutzverbots hat sich an der Patentierbarkeit von Analogieverfahren nicht geändert. Deren praktische Bedeutung wurde jedoch verringert.

Beim Schutz der Stoffe selbst kommt es für die erfinderische Tätigkeit ebenfalls auf vorteilhafte Eigenschaften und Wirkungen an, die für einen Fachmann nicht zu erwarten waren. Die überraschenden Eigenschaften oder Wirkungen sind allenfalls dann keine Patentierungsvoraussetzung, wenn bereits die Bereitstellung des Stoffes selbst über die fachmännische Routine hinausgehende Überlegungen oder Maßnahmen erfordert. Sowohl die Praxis als auch die herrschende Lehre nehmen an, dass auch im Falle einer erfinderischen Leistung, die sich erst aus dem Erkennen unerwarteter Eigenschaften ergibt, ein absoluter Schutz gewährt wird. Dieser Schutz ist nicht lediglich auf die Nutzung dieser Eigenschaften des jeweiligen Stoffes beschränkt. Vielmehr umfasst er alle Verwendungen des Stoffs. Bei Zwischenprodukten ist es teilweise möglich, die erfinderische Tätigkeit aus Eigenschaften und Wirkungen des Endprodukts abzuleiten. Voraussetzung ist allerdings, dass für die Eigenschaften und Wirkungen die Zwischenprodukte und nicht bloß deren Weiterverarbeitung ursächlich sind. Bei der Beanspruchung von Patentschutz für ein Erzeugnis, welches sich durch ein Herstellungs- oder Auswahlverfahren definiert, ist es entscheidend, ob die Bereitstellung des Erzeugnisses als solches naheliegend war. Nicht entscheidend für die Schutzfähigkeit ist hier, ob das im Patentanspruch angegebene Verfahren bereits nahe lag.

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