MT Können Lizenzen zwangsweise vergeben werden?


Seit der Europäisierung des deutschen Kartellrechts lässt sich die These der kartellrechtlichen Immunität von Immaterialgüterrechten nicht mehr aufrecht erhalten. Nötig ist seit diesem Zeitpunkt vielmehr eine Interessenabwägung im Lichte des spezifischen Gegenstands des Schutzrechts mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen der immaterialgüterrechtlich erwünschten und der kartellrechtlich bedenklichen Wettbewerbsbeschränkung. Ganz im Sinne der Inhaltstheorie stellt den Ausgangspunkt dieser Abwägung der Inhalt des Schutzrechts dar. Daher lässt sich ein Eingriff des Kartellrechts nicht bereits dadurch rechtfertigen, dass die Inhaberschaft eines Schutzrechts gegeben ist. An diesem Grundsatz ändert sich selbst dann nichts, wenn sich aus der Inhaberschaft des Schutzrechts eine marktbeherrschende Stellung ergibt. Von entscheidender Bedeutung ist dann des Weiteren allerdings, ob die Marktmacht, die dem Inhaber des Schutzrechts zunächst durch eben dieses vermittelt wird, missbraucht wird. Im Extremfall der kartellrechtswidrigen Weigerung eines Unternehmens, eine Lizenz zu erteilen, kann es daher zur Anordnung einer Zwangslizenz kommen. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Vergabe von Zwangslizenzen auf dem Gebiet des Patentrechts finden sich auch Regelungen im deutschen Patentgesetz. Sind die Voraussetzungen der Erteilung einer Zwangslizenz auf dem Gebiet des Patentsrechts erfüllt, so nimmt die tatsächliche Erteilung das Bundespatentgericht vor. Die zentrale Voraussetzung für die Vergabe einer solchen Zwangslizenz ist nach den Vorschriften des Patentgesetzes das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Vergabe einer solchen Lizenz.

Die Begründung des Europäischen Gerichtshofes

Der Europäische Gerichtshof stützte sich in der berühmten Magill-Entscheidung zur Begründung einer Zwangslizenz an Programminformationen von Fernsehanstalten, die urheberrechtlich geschützt waren, auf die kartellrechtliche Missbrauchsvorschrift im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Zudem entschied der Europäische Gerichtshof in einem viel beachteten Urteil im Jahre 2004, dass die Weigerung eines Unternehmens mit einer marktbeherrschenden Stellung, welches Inhaber des geistigen Eigentumsrechts an einer Bausteinstruktur ist, die für die Präsentation von Daten über den regionalen Absatz von Arzneimitteln in einem Mitgliedstaat unerlässlich sind, einem anderen Unternehmen, das ebenfalls derartige Daten in diesem Mitgliedsstaat anbieten will, eine Lizenz zur Verwendung dieser Struktur zu erteilen, unter bestimmten Voraussetzungen einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellt. Besondere Beachtung wurde dabei dem Umstand geschenkt, dass ein sachlicher Grund für die Tatsache fehlte, dass die Weigerung geeignet ist, dem Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums den Markt für die Lieferung der Daten über den Absatz von Arzneimitteln in dem betreffenden Mitgliedsstaat vorzuenthalten, indem jeder Wettbewerb auf diesem Markt ausgeschlossen wird.

Umstritten ist bislang, ob beziehungsweise inwieweit sich die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätze über die urheberrechtlichen Besonderheiten hinaus allgemein auf Immaterialgüterrechte - wie zum Beispiel das Patent - übertragen lassen. In der sogenannten „Standard-Spundfass-Entscheidung“ legte der Bundesgerichtshof dar, dass sich ein kartellrechtlicher Anspruch nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf Einräumung einer Patentlizenz aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung unter dem Gesichtspunkt einer unbilligen Behinderung oder Diskriminierung ergeben kann. Zudem traf das Gericht eine Klarstellung hinsichtlich des Verhältnisses der Zwangslizenzregelung des Patentgesetzes zu einem kartellrechtlichen Kontrahierungszwang. So sei ein kartellrechtlicher Anspruch auf Einräumung einer Lizenz durch die dem Patentgericht durch das Patentgesetz eingeräumte Befugnis zur Erteilung einer Zwangslizenz nicht ausgeschlossen. Die beiden genannten Rechtsinstitute dienten nämlich grundsätzlich verschiedenen Zielen und seien zudem an verschiedene Voraussetzungen geknüpft.

Von der Kommission der Europäischen Union wurde im Dezember 2005 ein Diskussionspapier vorgelegt. Dieses sollte eine Orientierung für die Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bieten. In diesem Papier wird zunächst einmal klargestellt, dass die Weigerung, eine Lizenz an einem Recht des geistigen Eigentums zu erteilen, prinzipiell keinen Missbrauch darstelle. Die Einordnung einer solchen Weigerung als Missbrauch sei vielmehr nur bei Vorliegen besonderer Umstände möglich. Zugleich wird allerdings auch dargelegt, dass die Weigerung der Erteilung einer Lizenz an einem Recht des geistigen Eigentums, welches an einer geschützten Technologie besteht, die die unerlässliche Basis für darauf aufbauende Innovationen von Wettbewerbern darstellt, sehr wohl missbräuchlich sein kann. Dies gelte selbst dann, wenn die Lizenz nicht dazu führe, dass die Techologie unmittelbar in neue Waren beziehungsweise Dienstleistungen Einzug erhalte. Dies wird regelmäßig bei Patenten an Industriestandards der Fall sein.

In der „Standard-Spundfass-Entscheidung“ ließ der Bundesgerichtshof die Frage, ob ein kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand im Rahmen eines Patentverletzungsprozesses überhaupt zulässig sein, noch offen. In der Entscheidung „Orange-Book-Standard“ hingegen wurde diese Frage bejaht. Demnach habe der Beklagte, der aus einem Patent in Anspruch genommen wird, grundsätzlich die Möglichkeit, dem patentrechtlichen Unterlassungsanspruch des Klägers entgegenzuhalten, dieser missbrauche seine marktbeherrschende Stellung, wenn er sich weigere, mit dem Beklagten einen Patentlizenzvertrag zu nicht diskriminierenden und nicht behindernden Bedingungen zu schließen. Im konkreten Fall ging es um ein Patent, von dem bei Befolgung eines in der Herrstellung handelsüblicher beschreibbarer CDs einzuhaltenden Standards üblicherweise Gebrauch gemacht wird. Außerhalb von allen mit der Vergabe von Zwangslizenzen verfolgten industrie- und handelspolitischen Zielen wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 816/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zwangslizenzen für Patente an der Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit ein System von Zwangslizenzen geschaffen, welches entscheidend darauf abstellt, weniger entwickelte Länder aktiv beim Zugang zu dringend benötigten, erschwinglichen Arzneimitteln zu unterstützen.

Grundsätzlich kommt zudem ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auch im Zusammenhang mit dem in neuerer Zeit an Bedeutung gewinnenden Problem der exzessiven Verwertung von Patenten durch professionelle Patentverwerter in Betracht. Bei solchen Patentverwertern handelt es sich meist um Unternehmen, die nicht selbst Teilnehmer des jeweiligen Innovationsprozesses sind, sondern sich ausschließlich auf den Kauf von Patenten beschränken. Anschließend werden die aufgekauften Patente durch die Vergabe von Patenten verwertet, ohne dass der Patentverwerter ein eigenständiges Interesse an der hinter dem Patent stehenenden Technologie hat. Professionelle Patentverwerter werden auch als sogenannte Patenttrolle bezeichnet. Ihr Verhalten kann unter Umständen einen Einsatz von Patenten darstellen, der innovationshemmende Wirkungen entfaltet. Dies hat sich in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits gezeigt. Ist im jeweiligen Einzelfall im Verhalten der Patenttrolle der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu sehen, so kann dies im Rahmen eines Patentverletzungsprozesses dem Unterlassungsanspruch des Rechtsinhabers als rechtshindernde Einwendung entgegengehalten werden. Abzuwarten bleibt hinsichtlich dieser Fragen jedoch die Entwicklung in der Rechtspraxis.

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