MT Hypothetische Tatsachenfeststellungen im Rahmen der Prüfung des Erfordernisses des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit


Einleitung

Für eine Erfindung kann nur dann ein Patent erlangt werden, wenn die einschlägigen Patentierungsvoraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen zählt unter Anderem das Erfordernis des Beruhens der Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit. Die Prüfung dieses Erfordernisses richtet sich danach, was sich für einen objektivierten Fachmann in naheliegender Weise aus dem maßgebenden Stand der Technik ergibt. Gehört hierzu nicht die fragliche Erfindung, so beruht sie auf erfinderischer Tätigkeit. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass im Nachhinein festgestellt werden muss, welche Entscheidung ein objektivierter - also tatsächlich nicht existierender - Fachmann hinsichtlich der Beantwortung der Frage des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit getroffen hätte.

Die hypothetische Tatsachenfeststellung

Regelmäßig ist in der Beurteilung des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit ein Werturteil enthalten. Zugleich aber scheint die Frage, ob sich die Erfindung für einen Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, auf eine hypothetische Tatsache abzustellen. Es ist für die Beantwortung dieser Frage nämlich nicht entscheidend, ob der Fachmann bei nachträglicher Betrachtung zu dem Schluss kommt, dass sich die Erfindung in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Fachmann auch im maßgebenden Zeitpunkt selbst zu diesem Schluss gekommen wäre. Mit dem Fachmann ist jedoch keine real existierende Person gemeint. Es handelt sich bei ihm um eine gedankliche Abstraktion. Daraus folgt aber auch, dass sein wahrscheinliches Verhalten nicht Gegenstand einer Tatsachenfeststellung sein kann. Naheliegender erscheint es, eine solche Tatsachenfeststellung in Bezug zur Entwicklung der Technik zu setzen. Bestünde die Möglichkeit der Ermittlung, ob die Erfindung ohne die Leistung des Erfinders aus der alltäglichen Praxis zur Entstehung gelangt wäre, so könnte daraus auch gefolgert werden, ob die Erfindung für einen Fachmann naheliegend war und ob sie schutzwürdig ist oder nicht.

Hierbei käme es entscheidend darauf an, den Verlauf, die die Erfindung vom Stand der Technik aus genommen hätte, möglichst genau und exakt darzustellen. Zu Bedenken ist jedoch, dass auch in dieser Konstellation nicht lediglich Fragen rein tatsächlicher Art zur Beantwortung stehen. Es ist nämlich keinesfalls ausreichend, diejenige Erfindung hinwegzudenken, die gerade einer Beurteilung unterzogen wird. Darüber hinaus müsste die Entwicklung insgesamt daraufhin überprüft werden, inwiefern in ihr ein Ergebnis routinemäßiger Anwendungspraxis zu sehen ist. All die Entwicklungsschritte, die hierüber hinausgehen, müssten im Rahmen der hypothetischen Tatsachenfeststellung außer Betracht bleiben. Wie sich zeigt, ist auch mit dieser abweichenden Prüfung nicht zu umgehen, dass letztlich danach zu fragen ist, was von einem Fachmann zu erwarten war.

Ähnlichkeit zur Beurteilung von Prüfungsleistungen

Eine gewisse Ähnlichkeit ist festzustellen zwischen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und Verfahren zur Bewertung von Prüfungsleistungen mithilfe des Maßstabs von durchschnittlich vorausgesetzten Kenntnissen und Fähgikeiten. Bezüglich der Bewertung von Prüfungsleistungen besteht jedoch der praktische Vorteil, dass dort die Messung anhand eines vorbekannten, für zahlreiche Leistungen einheitlich geltenden, Idealmusters durchgeführt werden kann. Diesem Idealmuster soll der zur Beurteilung vorliegende Gegenstand möglichst nahekommen. Bei der Überprüfung einer Erfindung hinsichtlich ihres Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit ist allerdings nur dasjenige vorbekannt, wovon die Erfindung jedenfalls gerade abweichen muss. Entscheidend für die Möglichkeit eines Schutzes ist dann die Erheblichkeit der Abweichung. Die Festlegung einer Zielmarke, die es zu erreichen oder zu überschreiten gilt, ist nicht möglich. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die möglichen Abweichungen einfach zu vielgestaltig sind. Das Werturteil darüber, ob sich eine Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, hat mehrere Bezugspunkte.

Zum einen bezieht es sich auf diejenigen Schwierigkeiten, die dem Zustandekommen der Erfindung entgegenstanden. Hierbei hat eine objektive Betrachtung zu erfolgen. Zum andern bezieht es sich aber auch mittelbar auf die Schutzwürdigkeit der Erfindung. Diese Bezugnahme erfolgt unter dem Aspekt eines gerechten Ausgleichs der Freihaltungs- und Belohnungsinteressen und eines zweckmäßigen Einsatzes der Anspornungswirkung des Patentschutzes. Die rechtlich relevanten Werte sind im Rahmen der zweiten Bezugnahme zu finden. Das Erfordernis, dass sich die Erfindung nicht in naheliegender Weise für einen Fachmann aus dem Stand der Technik ergeben darf, ist keine Wertung für sich. Vielmehr ist es ein reiner Hilfsbegriff. Die bei seiner Handhabung angemessenen Anforderungen richten sich nach denjenigen Wertungen, die der Patentrechtsordnung zugrundeliegen. Das Werturteil bedarf zudem einer tatsächlichen Grundlage. Zu dieser tatsächlichen Grundlage zählen die Erfindung, der Stand der Technik sowie die Umstände, nach denen zu beurteilen ist, welche Kenntnisse und Fähigkeiten dem zuständigen Fachmann zuzusprechen sind.

Bezüglich all dieser Punkte hat eine sorgfältge Ermittlung zu erfolgen. Insbesondere können der Ermittlung der Kenntnisse und der Fähigkeiten des Fachmanns oftmals erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen. Keinesfalls ist hier ersatzweise auf pauschale, formelhafte Aussagen auszuweichen. Die Beweislast dafür, dass die Erfindung dem Erfordernis des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit genügt, liegt nicht beim Anmelder oder Patentinhaber. Es sind das Patentamt und die Beschwerdeinstanz, denen es im Erteilungsverfahren obliegt, darzulegen, dass und gegebenfalls auch warum eine erfinderische Leistung nicht gegeben ist. Im Einspruchs- beziehungsweise Nichtigkeitsverfahren liegt die diesbezügliche Beweislast beim Einsprechenden oder beim Kläger. Diejenigen, denen die Beweislast auferlegt wurde, haben ebenfalls die Tatsachen nachzuweisen, aus denen sich das Fehlen einer erfinderischen Leistung ergeben soll. In einer neueren Entscheidung hat das Bundespatentgericht geurteilt, dass, wenn Zweifel daran bestehen, dass sich die unter Schutz gestellte Erfindung in naheliegender Weise für einen Fachmann aus dem Stand der Technik ergibt, dies ersichtlich eben nicht der Fall sei. Somit gilt eine Erfindung auch dann als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend, wenn sie keinerlei überraschende oder vorteilhaften Wirkungen mit sich bringt.

Die erfinderische Tätigkeit als qualitatives Erfordernis

Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit ist nach überwiegender Ansicht kein quantitatives, sondern ein qualitatives. Wenn gleich es sicherlich zutreffend ist, dass die erfinderische Tätigkeit nicht gemessen oder berechnet werden, so wird durch die gebräuchlichen Umschreibungen, wie zum Beispiel das Nicht-Naheliegen, der erfinderische Abstand zum Stand der Technik, die Erfindungshöhe und ähnliche, der Eindruck erweckt, eine Bewertung erfolge anhand eines räumlich-quantitativen Maßstabs. Es ist darüber hinaus im Rahmen eines Vergleichs zweier Erfindungen oftmals möglich, genau zu bestimmen, welche der beiden Erfindungen näher am Stand der Technik liegt und somit die - relative gesehen - geringere erfinderische Leistung aufweist.

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