MT Patent: Schutz chemischer Stoffe und dessen Ausgestaltung


Schutz chemischer Stoffe

Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

Die der deutschen Praxis der patentrechtlichen Behandlung von Stofferfindungen zugrundeliegenden Regeln haben ihren Ursprung in einer Zeit, als Erfindungen von Nahrungs-, Genuss- und Arzneimitteln sowie von auf chemischer Grundlage hergestellten Stoffen noch keinen Schutz nach dem Patengesetz erlangen konnten. Dementsprechender Schutz konnte lediglich dann erlangt werden, soweit er sich auf ein bestimmtes Verfahren zur Herstellung der aufgezählten Gegenstände bezog. Eine erste Abweichung von dem alten Grundsatz stellte das Urteil des Reichsgerichts betreffend den sogenannten Methylenblaufall dar. In diesem Fall hat das Reichsgericht in der ehemaligen gesetzlichen Ausschlussbestimmung den Ausdruck für die den Stoffen, welche auf chemischem Wege hergestellt werden, wie auch Nahrungs-, Genuß- und Arzneimittel eigentümliche Zusammengehörigkeit des Herstellungsverfahrens und des Herstellungsergebnisses gesehen. Das Reichsgericht kam zu dem Schluss, dass keine Identität des Verfahrens vorliege, wenn das gleiche Verfahren nicht auf dasselbe Endziel gerichtet sei. Außerdem liege der mittels dieses Verfahrens erzeugte Stoff nicht außerhalb des Gegenstand der Erfindung. Vielmehr werde von ihm der das Verfahren als patentrechtlich charakterisierende Abschluss gebildet. Daraus folge wiederum, dass das Verfahren den mittels desselben Verfahrens hergestellten Stoff als zum Gegenstand der Erfindung gehörig begreife.

Als richtungsweisend kann des Weiteren auch der ebenfalls vom Reichsgericht entschiedene sogenannte Kongorotfall bezeichnet werden. Hier stellte das Reichsgericht fest, dass wenn bei der Erfindung eines chemischen Herstellungsverfahrens der hierdurch erzeugte Stoff zum Gegenstand der Erfindung gehöre, es dann nur folgerichtig sei, wenn er auch bei der Beurteilung der Patentwürdigkeit eben dieser Erfidnung in Betracht gezogen werde. Konkret war in diesem Fall ein Verfahren zur Darstellung von Azofarbstoffen patentiert worden. Dabei waren sowohl die Kombinationsfähigkeit der Körperklassen, zu denen die verwendeten Ausgangsstoffe gehörten als auch die angewandte Methode ihrer Umsetzung bereits zuvor bekannt. Nicht bekannt war jedoch, dass der auf diesem Wege erzeugte Farbstoff geeignet war, Baumwolle ohne die Notwendigkeit des Beizens echt rot zu färben. Daraufhin erkannte das Reichsgericht dem patentierten Verfahren erfinderische Qualität an. Das Reichsgericht entschied damit, dass nicht ausschließlich chemisch eigenartige Verfahren patentierbar sind, die für den Fachmann nicht naheliegend sind, weil sie sich einer für diesen nicht naheliegenden Kombination von Ausgangsstoffen oder Arbeitsmethoden bedienen. Vielmehr sollten von nun an auch sogenannte Analogieverfahren patentierbar sein.

Analogieverfahren sind chemische Verfahren, die sich von den bisher bekannten Verfahren nur dadurch unterscheiden, dass die Ausgangsstoffe oder die Arbeitsweise durch Analoge ersetzt werden. Deshalb bilden sie für einen durchschnittlichen Fachmann eigentlich eine naheliegende Abwandlng zum Stand der Technik gehörender Verfahren. Analogieverfahren sollten nach Ansicht des Reichsgerichts allerdings nur dann patentierbar sein, sofern neue Erzeugnisse mit überraschenden Eigenschaften oder Wirkungen aus ihnen hervorgehen. Auf dieser Grundlage war es jetzt möglich, dass die Erzeugnisse selbst den für die unmittelbaren Erzeugnisse patentierter Verfahren im Methylenblaufall und den seit im 1891 im Patentgesetz anerkannten indirekten Schutz erlangen.

Der Gegenstand der Erfindung in der Lösung des Reichsgerichts

Im Rahmen der Entscheidung des Reichsgerichts stellte sich die Frage, was genau bei dessen Lösung als eigentlicher Gegenstand der Erfindung anzusehen ist. Diese Frage führte letztendlich zu einer Diskussion darüber, ob die überraschende Eigenschaft eines Erzeugnisses, von der ja die Möglichkeit des Patentschutzes eines chemischen Herstellungsverfahrens abhing, bereits in der Erstfassung der Anmeldung zum Patent offenbart werden müsse oder ob diese Eigenschaft auch nachträglich im Laufe des Prüfungsverfahrens angegeben werden kann. Das Reichsgericht hatte sich bezüglich dieses Streitpunktes im Kongorotfall nicht geäußert. Zwar sprach dafür, dass die Eigenschaft bereits bei der Anmeldung des Patents offenbart werde müsse der Umstand, dass ja erst im Auffinden der überraschenden Eigenschaft eine für den Fachmann nicht naheliegende Erkenntnis liegt. Ein Verzicht auf deren ursprüngliche Offenbarung ermögliche es daher, auch ein Verfahren anzumelden, für dessen Erzeugnisse der Anmelder eben noch keine überraschenden Eigenschaften nennen kann. Er erhofft sich vielmehr lediglich, solche Eigenschaften noch zu entdecken.

Gerade der chemischen und im speziellen der Arzneimittelindustrie schien an dieser Möglichkeit viel zu liegen. Ein Fachmann muss über das Erzeugnis verfügen, um überraschende Eigenschaften, die das Erzeugnis womöglich hat, ermitteln zu können. Das Herstellungsverfahren bezüglich des Erzeugnisses ist daher in aller Regel bereits anmeldungsreif, noch bevor besagte Eigenschaften erkannt sind. Brauchen die Eigenschaften gemäß der zweiten obigen Ansicht bei Anmeldung des Verfahrens zum Patent aber noch nicht angegeben zu werden, so bedeutet dies für den Fall einer erfolgreichen Suche nach ihnen, dass dem erreichbaren Schutzrecht ein früherer Zeitrang gesichert wird. Dementsprechend endigt auch die Laufzeit des Schutzrechts früher. Als Argument für die zweite Ansicht kann angeführt werden, dass der Gegenstand der Erfindung schließlich das Verfahren, nicht aber die Verwendung seiner Erzeugnisse sein soll.

In diesem Zusammenhang muss allerdings geklärt werden, was es bedeutet, dass auch das durch ein Verfahren gewonne Erzeugnis zum Gegenstand der Erfindung des Verfahrens gehört. Sicherlich ist eine zur Identifikation geeignete Bezeichnung des Verfahrens auch ohne Angaben über überraschende Eigenschaften möglich. Allerdings bleibt es dann immer noch fraglich, ob es als ausreichend erachtet werden kann, dem Fachmann eine nacharbeitbare Handlungsanweisung ohne die Information zu geben, welchen Vorteil das Nacharbeiten mit sich bringt. Hier ist zu beachten, dass die nicht gegebene Information auch nicht bereits naheliegend ist.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Die obige Diskussion wurde durch das Urteil des Bundesgerichtshofs im Appetitzüglerfall beantwortet. Der Bundesgerichtshof entschied, dass es zur Offenbarung einer Erfindung, deren Gegenstand ein chemisches Analogieverfahren ist, genügt, wenn die Ausgangsstoffe, die Arbeitsmethoden und die Endprodukte angegeben werden. Bereits durch diese Angaben werde dem Fachmann nämlich eine zur Nacharbeit geeignete Lehre bereitgestellt. Diejenigen Angaben über die besonderen technischen, therapeutischen oder sonstwie wertvollen Eigenschaften der Verfahrensprodukte, die letztlich ja zur Begründung der Patentierbarkeit erforderlich sind, könnten deshalb auch nachgereicht werden. Problematisch sei allerdings, dass aus den zur Offenbarung erforderlichen Angaben nicht in jedem Fall ohne Weiteres ersichtlich sei, ob die gekennzeichnete Lehre in der Technik überhaupt verwendbar sei oder ob sie gegebenenfalls lediglich die wissenschaftliche Erkenntnis erweitere. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sei deshalb bei der Anmeldung regelmäßig die Angabe desjenigen technischen Gebiets zu fordern, auf dem die Erfindung Anwendung finden soll. Der Bundesgerichtshof ließ in diesem Zusammenhang jedoch zum Beispiel bereits die nicht näher konkretisierte Angabe genügen, dass die Verfahrenserzeugnisse wertvolle Pharmazeutika beziehungsweise Zwischenprodukte für die Herstellung von solchen seien.

Erstreckung des Patentschutzes auf alle Erzeugnisse

Die fehlende Zugehörigkeit der überraschenden Eigenschaften des Erzeugnisses zum Gegenstand der Verfahrenserfindung hat zur Folge, dass von der Verfahrenserfindung bereits dann Gebrauch gemacht sein kann, wenn dabei eben nicht diese, sondern andere, vom Erfinder unter Umständen gar nicht erkannte, jedenfalls aber nicht offenbarte Eigenschaften genutzt werden. In einem solchen Fall muss in der Folge richtig angenommen werden, dass auch eine solche Benutzung der Verfahrenserzeugnisse nicht ohne die Zustimmung der Inhaber des Schutzrechts erlaubt sein kann. Zur Zeit des Stoffschutzverbot war es daher wohl selbstverständlich, dass sich der durch Patente auf Analogieverfahren bewirkte indirekte Schutz ebenfalls der Erzeugnisse nicht lediglich auf bestimmte, insbesondere nicht auf die vom Anmelder erkannten und offenbarten Verwendungszwecke beschränkt. Vielmehr umfasste der Schutz alle Verwendungsmöglichkeiten des Erzeugnisses - sogar solche, die erst durch spätere Erfindungen erschlossen werden. Ein sich ausschließlich auf bestimmte Verwendungen beschränkender Verfahrensschutz schien zu dieser Zeit zum einen kaum vorstellbar. Zum anderen schien es, als liefe ein solcher Schutz auf einen bloßen Verwendungsschutz hinaus.

Für die Verwendung von Arzneimitteln wurde ein solcher Schutz jedoch grundsätzlich abgelehnt. Dies geschah deshalb, weil er einem Schutz des Arzneimittels selbst gleichkomme. Der Schutz wurde deshalb als unzulässige Umgehung des für Arzneimittel geltenden Patentierungsverbotes angesehen. Erfinder neuer Verwendungsmöglichkeiten bereits bekannter Stoffe hingegen sahen sich grundsätzlich auf den Verwendungsschutz verwiesen. Dieser Weg war bei einer wichtigen Erzeugnisart jedoch kaum zu beschreiten. Der Verfahrensschutz wiederum war für sie jedoch nur zu erlangen, wenn für das Erzeugnis ein neuer, außerhalb des Schutzbereichs des älteren Verfahrenpatents liegender Herstellungsweg angegeben wurde. Allerdings bleib auch diese Möglichkeit, Verfahrensschutz zu erlangen, in der Praxis ohne Bedeutung. Die Rechtsprechung hat nämlich die Tendenz, ein zweites Verfahren, das zum gleichen Erzeugnis führte wie ein Verfahren, für das bereits Verfahrensschutz bestand, als Äquivalent in den Schutzbereich des älteren Patents einzubeziehen.

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