Patent: Der Umfang des Standes der Technik


Einführung

Nach dem derzeit geltenden Patentrecht gehören all diejenigen Tatsachen zum Stand der Technik, die vor einem bestimmten Stichtag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Dabei ist es von keinerlei Bedeutung, in welcher Form, an welchem Ort oder vor wie langer Zeit die Öffentlichkeit Zugang zu diesen Informationen erhalten hat. Im Unterschied dazu war im früheren deutschen Patentrecht nur dasjenige vom Stand der Technik umfasst, was in öffentlichen Druckschriften aus den letzten einhundert Jahren vorbeschrieben oder im Inland in offenkundiger Weise vorbenutzt war. Durch die heute geltende Regelung wird demnach der Umfang des für das Patentrecht bedeutsamen Standes der Technik erheblich erweitert. Die heute geltende Regelung hat insbesondere zur Folge, dass eine Erfindung auch dann patenthindernd vorweggenommen sein kann, wenn sie durch nicht druckschriftliche (zum Beispiel mündliche) oder auch mehr als einhundert Jahre alte Beschreibungen oder durch im Ausland getätigte Benutzungshandlungen offenbart wurde.

Nicht vorveröffentlichte Patentanmeldungen

Eine besondere Neuerung stellte 1978 die Einbeziehung nicht vorveröffentlichter älterer Patentanmeldungen in den Stand der Technik dar. Nicht vorveröffentlichte Patentanmeldugen hatten zwar auch bereits vor 1978 schutzhindernde Wirkung. Die schutzhindernde Wirkung hatte damals denselben Umfang wie das angemeldete Patent. Die nicht vorveröffentlichten Patentanmeldungen gehörten allerdings nicht zum Stand der Technik. Außerdem trat die schutzhindernde Wirkung nur ein, wenn auf die nicht vorveröffentlichte Patentanmeldung auch tatsächlich ein Patent erteilt wurde. Dieses Erfordernis ist nach dem aktuell geltenden Recht nicht mehr entscheidend. Eine nicht vorveröffentlichte Patentanmeldung hat auch dann schutzhindernde Wirkung und gehört zum Stand der Technik, wenn auf sie später überhaupt kein Patent erteilt wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die nicht vorveröffentlichte Patentanmeldung nachträglich veröffentlicht wird. Sie wirkt dann mit dem gesamten Offenbarungsinhalt ihrer ursprünglich eingereichten Fassung patenthindernd gegenüber der jüngeren Anmeldung.

Weitere Erweiterung des Standes der Technik

Auch in anderer Weise wurde der Stand der Technik erweitert. So gab es eine wesentliche Verschärfung der Voraussetzungen, unter denen Kenntnisse, die vor dem Stichtag offenbart wurden (sei es durch öffentliches Zugänglichwerden oder durch Patentanmeldung), deshalb nicht zum Stand der Technik gezählt werden, weil sie vom Erfinder selbst stammen. Nach dem früheren deutschen Recht wurde in solchen Fällen eine Neuheitsschonfrist beziehungsweise Immunitätsfrist gewährt. Diese hatte eine Dauer von sechs Monaten und galt für alle Vorbeschreibungen und -benutzungen, die auf der Erfindung des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers beruhten. Das frühere Recht knüpfte auf diese Weise für einen umfassenden Kreis von Ausstellungen an die Zurschaustellung ein für sechs Monate wirkendes Prioritätsrecht.

Nach dem aktuellen Patentgesetz und dem Europäischen Patentübereinkommen wird ein vorzeitiges öffentliches Zugänglichwerden lediglich dann noch als unschädliche Offenbarung angesehen, wenn das Zugänglichwerden darauf beruht, dass ein offensichtlicher Missbrauch gegenüber dem Anmelder oder seinem Rechtsvorgänger oder auf einer Zurschaustellung im Rahmen bestimmter außergewöhnlicher internationaler Ausstellungen stattgefunden hat. Der Berechtigte hat ausschließlich im Bereich dieses eng begrenzten Ausstellungsschutzes die Möglichkeit, eine Erfindung der Öffentlichkeit freiwillig zugänglich zu machen, ohne dabei gleichzeitig die Möglichkeit einer nachträglichen Erlangung eines Patents durch Anmeldung der Erfindung zu verlieren. Anders als nach dem früheren Recht kann heute jede andere Art der Veröffentlichung, der Ausstellung, der öffentlich wahrnehmbaren Erprobung et cetera, die vom Berechtigten gewollt geschieht, selbst dann patenthindernde Wirkung entfalten, wenn eine Anmeldung der Erfindung zum Patent durch den Berechtigten innerhalb von sechs Monaten nach dieser Veröffentlichung erfolgt.

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