Komponente der Bezugnahme auf den Fachmann bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit


Einleitung

Damit eine Erfindung den Schutz durch ein Patent erlangen kann, muss sie unter anderem auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Bei der Beruteilung dieses Erfordernisses wird auf einen durchschnittlichen Fachmann abgestellt. Aufgrund des wesentlichen Gleichlaufs der Beurteilung des Erfordernisses des Beruhens der Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht und demjenigen des Beruhens der Erfindung auf einem erfinderischen Schritt im Gebrauchsmusterrecht gelten die folgenden Ausführungen sowohl für das Patent- als auch das Gebrauchsmusterrecht. Abweichendes gilt nur, sofern dies gesondert ausgeführt wird.

Die zwei Komponenten der Bezugnahme auf den Fachmann

Die Bezugnahme auf den Fachmann setzt sich aus zwei Komponenten zusammen - einer kognitiven und einer kreativen. Der Fachmann verfügt zum einen über dasjenige Fachwissen auf seinem Gebiet, das am Stichtag üblich ist. Zum anderen verfügt er aber auch über durchschnittliche Fähigkeiten. Anhand dieser beiden Kriterien hat die Bestimmung zu erfolgen, ob sich eine Erfindung bereits aus dem maßgeblichen Stand der Technik ergibt oder nicht. Zumindest nach geltendem Recht ist für diese Bewertung das Fachwissen in seiner Gesamtheit in den Stand der Technik einzubeziehen. Dabei kommt jedoch nicht jegliches Wissen in Betracht. Als Fachwissen eines bestimmten Gebietes kommt vielmehr nur all das in Betracht, was sich ein Interessierter durch die Nutzung von öffentlich zugänglichen Ausbildungsmöglichkeiten und Informationsquellen aneignen kann. Wissen, das im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung vermittelt wird oder das zu einer betrieblichen Praxis gezählt werden kann, gehört nur insoweit zum Stand der Technik, als es keiner Geheimhaltung unterliegt.

Wissen, das sein individueller Inhaber geheim zu halten hat oder welches er nur unter weiteren Vorkehrungen zur Geheimhaltung übermitteln darf, gehört hingegen nicht zum Wissen des Durchschnittsfachmanns. Während das Fachwissen unter keinen Umständen über das Wissen hinausgehen kann, welches vom Stand der Technik umfasst ist, kann letzteres weiter sein als das Fachwissen. Dies gilt auch in Bezug auf das jeweils einschlägige Spezialgebiet. Dies ist insoweit logisch als der Stand der Technik immer auch solches Wissen erfasst, welches weit abseits des gewöhnlichen Fachwissens liegt. Jedoch ist es keinesfalls geboten davon auszugehen, dass sämtliches zum Stand der Technik gehörendes Wissen stets auch dem Durchschnittsfachmann zur Verfügung steht. Im früheren deutschen Recht traten in diesem Zusammenhang häufig Missverständnisse auf. Namentlich wurde die Definition der patentrechtlichen Neuheit vielfach als Fiktion des Bekanntseins interpretiert. Dies war jedoch nicht zutreffend. Sie galt jedoch zugleich als Umschreibung des Standes der Technik, der für die Beurteilung des Naheliegens der Erfindung ausschlaggebend war. Daher hat sich teils die Meinung gebildet, der gesamte Stand der Technik sei als dem Fachmann bekannt zu fingieren.

Diese Auffassung wurde jedoch bereits unter dem früher geltenden Recht heftig kritisiert. Zwar gab es in der Rechtsprechung vereinzelt Entscheidungen, die tendenziell ein Befürworten dieser Meinung erkennen ließen. Entscheidungserheblich war die Auffassung in ihrer gesamten Tragweite jedoch nie. Der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgebliche Stand der Technik gilt als vor dem Stichtag der Öffentlichkeit bekannt geworden. Dies allein rechtfertigt jedoch bei weitem nicht die Annahme, dass er somit zugleich als allgemein oder zumindest jedem durchschnittlichen Fachmann bekannt gelten muss. Grundsätzlich besteht zwar die Möglichkeit, diejenigen Vorschriften, die bestimmen, dass der neuheitsschädliche Inhalt nicht vorveröffentlichter älterer Anmeldungen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht bleibt, mit der Argumentation in Zusammenhang zu bringen, dass die Fachwelt nicht einmal in der Lage war, von ihm Kenntnis haben zu können. Hieraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass der übrige Stand der Technik deshalb Berücksichtigung finden müsse, da dieser in seiner Gesamtheit als dem Fachmann bekannt anzusehen sei.

Auch aus der Formulierung des Patentgesetzes, das im Rahmen der Umschreibung des öffentlich zugänglichen Standes der Technik von Kenntnis spricht, kann nicht geschlossen werden, dass der Stand der Technik für das Gesetz mehr bedeutet als potenzielle Kenntnis. Es kommt also allein auf Informationen an, die beliebigen Personen zugänglich sind. Nicht notwendig ist allerdings, dass diese Informationen aktiv in das Bewusstsein der Menschen einbezogen wird. Auch nach dem reinen Wortlaut ist das Patentgesetz weit von einer dahingehenden Fiktion entfernt. Schließlich wiche eine solche Regelung auch in erheblichem Maße vom Europäischen Patentübereinkommen ab. Bezüglich der Kenntnis des Fachmanns besteht somit ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Fachwissen und dem übrigen Stand der Technik. Während der Fachmann vom Fachwissen unmittelbar aus dem Gedächtnis oder aus den ihm geläufigen Informationsquellen regelmäßig ohne weiteres eine verfügbare, ja griffbereite Kenntnis hat, besteht bezüglich des Standes der Technik im allgemeinen nur die Möglichkeit, dass dieser von der Kenntnis des Fachmanns umfasst ist.

Vom durchschnittlichen Fachmann sind grundsätzlich nicht mehr als zufällige, punktuelle Kentnisse nicht zum Fachwissen gehörender Teile des Standes der Technik zu erwarten. Diese Möglichkeit findet dadurch hinreichend Berücksichtigung, dass der gesamte Stand der Technik als dem Fachmann zugänglich verstanden wird. Der Umfang und die Art der Ingebrauchnahme des Standes der Technik wiederum hängen von dem Fachwissen und den Fähigkeiten des Fachmanns ab.

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